Die jahrzehntelange Unterstützung Deutschlands und der EU für Ruanda löst wegen der Rolle des Landes im Krieg im Ostkongo zunehmend Proteste aus. Die ruandische Regierung in Kigali unterstützt seit Jahrzehnten allerlei Milizen in den angrenzenden Kivu-Provinzen im Osten der Demokratischen Republik Kongo, die dort im großen Stil Rohstoffe plündern und sie nach Ruanda schmuggeln. Kigali verdient damit Milliardenbeträge, während die Milizen im Ostkongo den Krieg fortführen. In den vergangenen Monaten und Wochen hat die Miliz M23 mit direkter Frontunterstützung durch Soldaten der ruandischen Streitkräfte weite Teile der Kivu-Provinzen erobert. Zahllose Einwohner sind auf der Flucht. Die Bundesrepublik kooperiert schon lange eng mit Ruanda, einer ehemaligen Kolonie des Deutschen Reichs, die auch in Berlin als Standort für die Auslagerung von Asylverfahren in ferne Weltgegenden in Betracht gezogen wurde. Die EU hat im vergangenen Jahr eine Übereinkunft mit Kigali geschlossen, die die Lieferung von zentralen Rohstoffen vorsieht. Beobachter gehen davon aus, dass auf diesem Weg auch „Blutmineralien“ aus dem Krieg im Ostkongo nach Europa gelangen.
Standort Ruanda
Deutschland, weitere westliche Staaten und die EU kooperieren schon seit Jahren eng mit Ruanda, das von 1884 bis 1916 eine Kolonie des Deutschen Reichs war. Berlin zahlt Kigali größere Summen aus seinem Entwicklungsetat. Zuletzt sagte es ihm im Oktober 2022 eine Summe von 93,6 Millionen Euro für den Zeitraum von drei Jahren zu, zwei Drittel davon als sogenannte Finanzielle Zusammenarbeit, die Investitionen fördern soll. Ruanda ist eines der Länder, die die Bundesrepublik in das Projekt „Compact with Africa“ einbezogen hat, das die Rahmenbedingungen für Auslandsinvestitionen in den teilnehmenden Ländern Afrikas verbessern soll. In Kigali ist ein „German Business Desk“ zur Förderung von Investitionen eingerichtet worden. Zudem hat das „Bundesentwicklungsministerium“ dort im Jahr 2019 ein Digitalzentrum eröffnet, das laut offiziellen Angaben „eine Brückenfunktion“ zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus Deutschland und Ruanda einnehmen soll. Seit 2018 ist Volkswagen mit einem Werk in Kigali vertreten, seit 2023 auch der deutsche Impfstoffhersteller BioNTech. Bekannt ist Ruanda in Europa freilich vor allem als möglicher Kooperationspartner bei Plänen, Asylverfahren in ferne Länder auszulagern. Die Option wurde auch in Berlin in Betracht gezogen.
Rohstofflieferant
Entscheidende Bedeutung hat Ruanda allerdings als Lieferant von Rohstoffen. Dabei weisen Beobachter schon seit Jahrzehnten darauf hin, dass es deutlich größere Mengen exportiert, als es selbst auf eigenem Territorium fördert. Ein starker Teil der ruandischen Rohstoffexporte stammt aus den angrenzenden Gebieten der Demokratischen Republik Kongo, vor allem aus den ostkongolesischen Provinzen Nord- und Süd-Kivu, die äußerst rohstoffreich sind. Seit Beginn des großen Krieges im Osten der DR Kongo im Jahr 1996 unterstützt Kigali Milizen vor allem in Nord-Kivu, die einen erheblichen Teil der dortigen Bodenschätze illegal über die Grenze nach Ruanda schaffen. Damit gehen Kinshasa riesige Summen verloren. 2023 schätzte der Finanzminister der DR Kongo, Nicolas Kazadi, den Betrag auf eine Milliarde US-Dollar pro Jahr. Insbesondere aber sorgen die von Ruanda unterstützten Milizen dafür, dass der Krieg im Ostkongo andauert – gefördert von Kigali. Bereits vor zwei Jahrzehnten machten Menschenrechtsorganisationen auf die Folgen am Beispiel Coltan aufmerksam. Das Mineral, das zur Produktion etwa von Mobiltelefonen verwendet wird, wird in Nord-Kivu unter oft schlimmsten Arbeitsbedingungen gefördert, nach Ruanda geschmuggelt und von dort exportiert. Kigali kassiert die Profite, im Ostkongo bleiben Elend und Krieg.
Blutmineralien
Jahrelange Kampagnen gegen den Bezug von „Blutmineralien“ aus dem Ostkongo auf dem Umweg über Ruanda sind regelmäßig verpufft, weil die westlichen Staaten – bestens mit den Rohstoffen versorgt – eng mit Kigali kooperieren und damit faktisch den Schmuggel und das Wüten der von Ruanda unterstützten Milizen im Ostkongo decken. Die EU hat im Februar vergangenen Jahres gar ein Memorandum of Understanding mit der ruandischen Regierung geschlossen, das eine enge Zusammenarbeit bei der Förderung und der Weiterverarbeitung von Bodenschätzen vorsieht. Im Mittelpunkt stehen dabei sogenannte kritische Rohstoffe, die für die Technologien der Energiewende unverzichtbar sind. Dabei hebt die EU-Kommission ausdrücklich hervor, dass Ruanda besonders große Mengen an Tantal exportiert. Tantal wird unter anderem aus Coltan gewonnen. Menschenrechtsorganisationen warnen, es bestehe ein hohes Risiko, dass auf der Basis des Memorandums of Understanding „Blutmineralien“ in die EU gelangten. Brüssel gibt an, Kontrollmechanismen einzusetzen, die sicherstellten, dass dies nicht der Fall sei. Experten weisen allerdings darauf hin, dass diese Mechanismen im Alltag des Schmuggels aus dem Ostkongo nach Ruanda längst mit allerlei Tricks umgangen werden, also im Kern wirkungslos sind.
Eroberungskrieg
Im Jahr 2021 hat Ruanda, um sich Zugriff auf die ostkongolesischen Rohstoffe zu sichern, die ursprünglich bereits 2012 gegründete Miliz M23 reaktiviert. 2022 konstatierten Experten der Vereinten Nationen, ihnen lägen Beweise vor, wonach M23 nicht nur über ungewöhnlich moderne Waffen verfüge, sondern auch von Truppen der ruandischen Streitkräfte direkt auf dem Territorium der DR Kongo unterstützt werde. Mit deren Hilfe brachte M23 wachsende Gebiete unter ihre Kontrolle, darunter stets neue Rohstofflagerstätten. Das Vorgehen dauerte auch nach dem formellen Abschluss eines Waffenstillstands zwischen der DR Kongo und Ruanda im Juli 2024 an. Zu Jahresbeginn gingen UN-Experten davon aus, es seien mittlerweile 3.000 bis 4.000 Soldaten der offiziellen ruandischen Streitkräfte in Nord-Kivu im Einsatz und wirkten dort an der Offensive der M23-Miliz mit. Ende Januar gelang es ihnen gemeinsam, die Provinzhauptstadt von Nord-Kivu, Goma, zu erobern. Nach einem kurzen Waffenstillstand setzte die Miliz am Dienstag ihre Angriffe fort. Zahllose Menschen sind inzwischen ums Leben gekommen. Schon in der vergangene Woche hieß es, in Goma seien nach dem Einmarsch der M23 mehr als 2.000 Opfer der Kämpfe verbrannt worden. Die Zahl der Flüchtlinge, die unter meist erbärmlichen Bedingungen in den Kivu-Provinzen leben müssen, nähert sich laut Angaben des UNHCR fünf Millionen.
Der Green Corridor
Ruandas Offensive sowie die Okkupation weiter Teile der Kivu-Provinzen geschehen zu einem Zeitpunkt, zu dem die DR Kongo der EU ein Angebot zur Kooperation mit Blick auf die ostkongolesischen Rohstoffvorräte macht. Darauf weist Kambale Musavuli vom Center for Research on the Congo-Kinshasa hin. Demnach warb der Präsident der DR Kongo, Félix Tshisekedi, auf dem diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos für seine neue Green Corridor-Initiative. Diese sieht zahlreiche Entwicklungsmaßnahmen in einem riesigen Landstreifen entlang des Kongo-Flusses vor, die von der Gewinnung erneuerbarer Energien über die Förderung der Landwirtschaft bis zur Schaffung von Transportinfrastruktur reichen. Der Green Corridor soll langfristig die ostkongolesischen Kivu-Provinzen mit der Hauptstadt Kinshasa verbinden. Damit rivalisiert er, wie Kambale Musavuli berichtet, mit der traditionellen Transport- und Schmuggelroute, die aus den Kivu-Provinzen über Ruanda und Uganda nach Kenia verläuft. Die EU-Kommission hat kürzlich bestätigt, sie wolle die Schaffung des Green Corridor – und den damit verbundenen Bau von Transportinfrastruktur – unterstützen. Letztlich könnten über ihn pro Jahr bis zu eine Million Tonnen Agrargüter aus den Kivu-Provinzen nach Kinshasa transportiert werden. Das gilt auch für Rohstoffe.
Protest
Gegen den Krieg in den Kivu-Provinzen, gegen die Okkupation weiter Teile des Gebiets durch die M23-Miliz und ruandische Truppen sowie gegen die Billigung des mörderischen Vorgehens durch die westlichen Staaten erhebt sich Protest. Bereits Ende Januar attackierten wütende Demonstranten in Kinshasa die Botschaften unter anderem Ruandas, der USA, Frankreichs und Belgiens. Auch in weiteren Städten der DR Kongo fanden inzwischen Proteste statt. Für diesen Samstag rufen Aktivisten zu einer Demonstration in Berlin auf. Dabei zielt der Protest auch auf die faktische deutsche Billigung der ruandischen Kriegsführung im Osten der DR Kongo.