Teil 1: Die Akteure im deutschen Gesundheitsmarkt

Krankheit als Geschäft

Von Richard Corell und Stephan Müller

Gesundheit als Ware? Das ist doch krank. Eine genaue Diagnose, wie krank unser Gesundheitssystem ist – also wie stark es auf Profite für Unternehmer statt Versorgung der Menschen ausgerichtet ist – stellt UZ in der Serie „Krankheit als Geschäft“ dar. Die Ökonomen Richard Corell und Stephan Müller analysieren, wer wie an unserer Gesundheit verdient – im ersten Teil geben sie einen Überblick über die Akteure im Gesundheitsmarkt.

Unter dem Stichwort „Gesundheitsmarkt“ findet man in den bürgerlichen „Qualitätsmedien“ vor allem eine Aussage: Dieser Markt bietet enormes wirtschaftliches Potential, er wächst schneller und stabiler als die Gesamtwirtschaft, ist Wachstumstreiber und Jobmotor.

Den Börsenanalysten, Anlageberatern und Investoren gilt er als „Mega­trend“, getrieben von der demographischen Entwicklung und von rasanten technologischen Neuerungen, insbesondere in den Bereichen Digitalisierung, Medizintechnik und Bio- sowie Gentechnologie.

Andererseits kommen die Kosten für das Gesundheitswesen in der bürgerlichen Presse nie ohne das Adjektiv „ausufernd“ (oder gar „explodierend“) daher, und die Politik bemüht sich unter der Überschrift „Reform“ Jahr für Jahr darum, „Dämme“ (also neue Leistungseinschränkungen) gegen das „Ausufern“ zu betonieren.

Betrachten wir zunächst, wer sich da alles tummelt in der Gesundheitswirtschaft:

Da sind die Patienten, das sind vor allem die aktiven und die ehemaligen Werktätigen.

Sie müssen – wie der Name Patient schon sagt – (das Wort kommt vom lateinischen „patiens“, „geduldig“) in der Regel warten, bis jemand sich ihrer Beschwerden und Krankheiten annimmt. Damit wird der Patient Teil eines Systems, dem er als Einzelner weitgehend hilflos ausgeliefert ist. Er ist zunächst angewiesen auf die Kollegen, die sich seiner annehmen.

Das Statistische Bundesamt führt unter der sehr weit gefassten Rubrik des Gesundheitspersonals rund 5,6 Millionen Beschäftigte (2017) an, davon 4,2 Millionen Frauen. Rechnet man die Beschäftigten in den Gesundheitsindustrien (Pharma, Medizintechnik und andere) und im Großhandel heraus, bleiben rund 4,5 Millionen. Zum Vergleich: In der Automobilindustrie (inklusive Zulieferern) waren im gleichen Jahr 0,82 Millionen beschäftigt.

Nicht einmal 10 Prozent des Gesundheitspersonals sind Ärzte (knapp 400000, davon fast die Hälfte im Krankenhaus). Die große Mehrzahl macht das Assistenz-, Pflege-, Verwaltungspersonal aus in Kliniken, Praxen, Laboratorien, Reha- und Pflegeeinrichtungen.

Kliniken gibt es in Deutschland knapp 2 000. 1 400 werden in den Landes-Krankenhausplänen (Vorsicht Planwirtschaft!) als Akutkrankenhäuser geführt. Mitte Juli 2019 machte eine Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung (das sind die, die auch schon den Hartz-Gesetzen den Weg gebahnt haben) Schlagzeilen, wonach über die Hälfte der Häuser schließen sollten. 600 Häuser würden ausreichen, die Versorgung würde sich gar verbessern, da die (größeren) Häuser besser ausgerüstet würden und leichter Spezialisten vorhalten könnten.

Arztpraxen gibt es über 70000. Sie verteidigen das Monopol auf die ambulante Behandlung. Meilensteine waren hier die Zerschlagung der von den Krankenkassen betriebenen Ambulatorien am Ende der Weimarer Zeit und der Polikliniken, die es in der DDR gab und die nach der Einverleibung geschleift wurden. In letzter Zeit wird allerdings die Ablösung der Einzelkämpfer in Form der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) betrieben. MVZs dürfen mehrere Ärzte anstellen und stehen auch Investoren offen – was eifrig genutzt wird. Investitionen in MVZ in Deutschland werden unter dem Schlagwort „Equity Capital“ international beworben, die Zahnärzte, die momentan besonders betroffen sind, versuchen gerade, sich die kapitalstarke Konkurrenz vom Hals zu halten.

Die Kliniken, aber auch die Praxen werden ausgerüstet von Medizintechnikfirmen, wie zum Beispiel Healthineers (Siemens). Es handelt sich dabei um die Ausgliederung der Medizintechnik, die mehrheitlich in Eigentum von Siemens blieb. Der auf Röntgentechnik und andere bildgebende Verfahren (CT, NMR) spezialisierte Konzern gehört neben Med­tronic (US-Konzern mit Sitz in Irland, Spezialität Herzschrittmacher), Johnson and Johnson (USA), Fresenius (DAX Konzern, spezialisiert auf Dialysegeräte) und Philips zu den größten Medizintechnikkonzernen der Welt. Die deutschen Konzerne haben einen hohen Exportanteil (so ist Fresenius Weltmarktführer im Bereich Dialyse), aber auch der Heimatmarkt muss beackert und gesichert werden. Wie das läuft und was das mit dem Aufstieg der MVZ und der Privatisierung von Kliniken zu tun hat, werden wir in einem Folgeartikel darstellen.

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"Krankheit als Geschäft", UZ vom 9. August 2019



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