Um eine Vorstellung der Dimension zu bekommen: Die Gesamtausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) 2016 betrugen 222,73 Mrd. Euro (davon rund 11 Mrd. Euro für die Verwaltung, das entspricht 4,9 Prozent). Zum Vergleich: Die Gesamtausgaben für die privaten Krankenversicherungen beliefen sich auf 48,7 Mrd. Euro (die Kosten für die Verwaltung lagen hier bei 3,2 Mrd. Euro, das entspricht 6,5%). Insgesamt werden die Kosten für das Gesundheitswesen in der BRD mit 338,2 Milliarden Euro (2015) beziffert. Das entspricht in etwa den Gesamtausgaben des Bundes im Jahr 2018 (336,7 Mrd. Euro).
Festzuhalten ist dabei, dass dies kein Geschenk der herrschenden Klasse an die Werktätigen ist. Die Beiträge zur Sozialversicherung sind als Zwangsabgaben vorenthaltener Lohn, inklusive des „Arbeitgeber“beitrags, der ohnehin über die Preise auf die Gesellschaft abgewälzt wird. Was aus dem Steuertopf bezahlt wird, wird überwiegend von den Werktätigen selbst aufgebracht. Allein mit der Lohn- und Mehrwertsteuer bestreiten sie rund 62 Prozent des gesamten Steueraufkommens der BRD (2018).
Die Patienten, die nach der Anmeldung einzeln dem Arzt gegenübertreten, werden häufig für ihre Krankheit verantwortlich gemacht. Das wird heute allerdings nur noch von reaktionären Ärzten vertreten, die hinter jedem Patienten den Simulanten sehen. Allein die hohe Bedeutung der vier „Klassiker“ bei Menschen weist auf das Gefährdungspotenzial der gesellschaftlichen Verhältnisse, auf Ausbeutung, Existenzangst, Armut und Umweltbelastung.
Vier Krankheitsklassen beanspruchen mehr als die Hälfte der Kosten: Herz-Kreislauf-Erkrankungen (13,7 Prozent), psychische und Verhaltensstörungen (13,1 Prozent), Krankheiten des Verdauungssystems (12,3%, darin auch zahnärztliche Leistungen) und Muskel-Skelett-Erkrankungen (10,1 Prozent).
Besonders ins Gewicht fallen chronische Krankheiten. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hat in einem Gutachten von 2001 (seitdem gibt es keine umfassende Studie hierzu, was ein bezeichnendes Bild auf den Forschungsdrang wirft) für die USA (!) festgehalten: Die Aufwendungen für die Versorgung chronisch Kranker betrugen 1995 drei Viertel der gesamten Gesundheitsausgaben. So entfielen auf chronisch Kranke:
80 Prozent der Krankenhaustage, 69 Prozent der Krankenhausfälle, 66 Prozent der ambulanten Arztkontakte, 83 Prozent der Arzneimittelverschreibungen, 96 Prozent der Hauspflegebesuche.
Entsprechende Analysen für die Gesamtkosten liegen für Deutschland aktuell nicht vor. Die vom Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland ausgewerteten Abrechnungsdaten zeigen zum Beispiel für die Praxen hausärztlicher Internisten, dass in Deutschland ein relativ kleiner Anteil (27 Prozent) von chronisch Kranken (‚Dauerpatienten‘) 55 Prozent der Jahresbehandlungskosten verursacht. Auch die Ergebnisse des GEK (Gesetzliche Ersatzkassen)-Arzneimittel-Reports deuten darauf hin, dass sehr wenige Patienten besonders viele medizinische Leistungen ‚verbrauchen‘. So entfielen 50 Prozent der Ausgaben für Arzneimittel auf 4 Prozent der Versicherten.
Der hohe Anteil chronischer Erkrankungen an den Gesundheitskosten zeigt, in welchem Ausmaß die gesellschaftlichen und Arbeitsverhältnisse für die Erkrankungen verantwortlich sind. Viele zum Teil aggressiv vorgetragene Vorschläge richten sich an den einzelnen Patienten: Er solle doch gefälligst mehr Sport machen, weniger und gesünder essen und von Alkohol, Tabak, Zucker und Fleisch ablassen. Wenn es um die Belastungen durch Umweltvergiftung oder durch die Arbeitsbedingungen als Risikofaktoren und Krankheitsursachen geht, werden die Gesundheitsapostel ganz leise.
Fortschrittliche Arbeitsmediziner gehören in Deutschland zu einer aussterbenden Spezies, Verfahren zur Anerkennung als Berufskrankheit schleppen sich über Jahre hin genauso wie bei Umweltgiften. Hier sei nur beispielhaft an das Verfahren wegen der Holzschutzmittel Xylamon und andere erinnert, das mit einer lächerlichen Geldbuße ohne Entschädigung der Betroffenen zu Ende ging. In den USA wurden seinerzeit immerhin die Zigarettenkonzerne empfindlich bestraft. Man wird sehen, wie die Sache dort mit Bayer/Monsanto ausgeht und den anhängigen Verfahren um das Pestizid Glyphosat.
Zwischen Arm und Reich bestehen gravierende Unterschiede in der Lebenserwartung: Der Unterschied zwischen der niedrigsten und höchsten Einkommensgruppe beträgt bei Frauen 13,3 und bei Männern 14,3 Jahre, stellt der Gesundheitsbericht von 2015 fest. Immerhin wird eingeräumt: „Der Studie zufolge lassen sich diese Unterschiede zumindest teilweise zurückführen auf eine erhöhte psychische und physische Belastung im Lebenslauf, insbesondere im Erwerbsleben, sowie auf geringere materielle, kulturelle und soziale Ressourcen in der unteren Einkommensgruppe.“ Und: In der DDR lag die Lebenserwartung bei Männern um über 3 Jahre, bei Frauen um 2,3 Jahre höher als in der BRD.