Die IG Metall fordert in der laufenden Tarifrunde neben einer Lohnerhöhung um sechs Prozent einen verbindlichen Anspruch für alle, ihre individuelle Wochenarbeitszeit für bis zu zwei Jahre auf 28 Wochenstunden verkürzen zu können. Das garantierte Rückkehrrecht in Vollzeit soll – vor allem die Kolleginnen davor bewahren in die „Teilzeitfalle“ zu geraten.
Längst nicht für alle, aber wenigstens für Beschäftigte mit Kindern unter 14 oder mit pflegebedürftigen Familienangehörigen und für Schichtarbeiter soll es in den unteren Lohngruppen einen Teillohnausgleich (bis zu 700 Euro) geben. Das bei der geforderten Teil-“Vollzeit“ überwiegend an Frauen und Schichtarbeiter gedacht wird, ist besonders bemerkenswert. Zeigt sie zum einen, dass die IG Metall anscheinend selbst davon ausgeht, dass die häusliche Pflegearbeit „Frauensache“ zu bleiben hat. Zum anderen, dass die IG Metall, die ja auch schon mal die weitgehende Zurückdrängung der Schichtarbeit auf ihrem Panier hatte, nun versucht – nicht nur über besonders ausgetüftelte Schichtpläne – die Lage der Schichtarbeiter wenigstens zeitweilig zu verbessern. Das ist auch dringend nötig.
Bekanntlich leben wir zunehmend in einer Gesellschaft, in der 24-Stunden-Tage und Sieben-Tage-Wochen die Regel sind. In der Metall- und Elektroindustrie arbeitet ein Drittel aller Beschäftigten Schicht – regelmäßig auch an Wochenenden. Arbeitsmedizinische Studien beweisen seit Jahrzehnten: Schichtarbeitern schlägt der Beruf auf Magen und Darm, die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schichtarbeiter ein Magengeschwür bekommt, ist um ein vielfaches höher als einem in Normalzeit Beschäftigten.
Wer schichtet, ist auch sonst gefährdet und geplagt: Schichtarbeiter klagen über Schlafstörungen; wer nachts arbeiten muss, der findet tagsüber auch weniger Stunden Schlaf. Der permanente Schlafentzug mindert die Leistungsfähigkeit – sie ist bei Nachtarbeitern so herabgesetzt wie bei Tagarbeitern nach einer schlaflosen Nacht. Nervöse Störungen, die Anfälligkeit für Infektionen, Kreislaufstörungen und Gallensteine plagen Schichtarbeiter besonders häufig. Schichtarbeit ist erwiesenermaßen dauernder Raubbau an der Gesundheit.
Die Strapazen der Schichtarbeit ziehen nicht nur schwerwiegende gesundheitliche Folgen nach sich, sondern benachteiligen die Schichtarbeiter auch sozial bzw. verringern die Entfaltungsmöglichkeiten im Bereich der sozialen Lebensverhältnisse. Wer von Schichtarbeit nicht gleich krank wird, der scheidet eben auf dem Wege der „natürlichen“ Selbstauslese aus der Schichtarbeit aus. Wer dank stabiler gesundheitlicher Natur länger durchhält, dem wird die Rechnung eben etwas später präsentiert: Schichtarbeiter sterben weit vor der Zeit. Aber wir leben im Kapitalismus. Es wäre daher beim gegenwärtigen Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit unrealistisch, Schichtarbeit komplett abzuschaffen.
Dass es in einer Gesellschaft, in der der Profit nicht der Maßstab aller Dinge ist, möglich ist, belegt das Beispiel DDR. Schwangere und stillende Frauen, hatten sechs Wochen vor der Geburt und 20 Wochen danach Schwangerschaftsurlaub bei vollem Lohn. Auch konnten in der DDR verheiratete Frauen mit Kindern, aber auch alleinstehende Frauen ohne Kinder aber mit einem eigenen Haushalt und alleinstehende Männer mit Kindern bis zu 18 Jahren, sowie Männer mit einer pflegebedürftigen Ehefrau ab 1977 einmal im Monat ihren sogenannten bezahlten „Haushaltstag“ als zusätzlichen Tag zur Bewältigung von häuslichen Belangen, wie Behördengängen nehmen.
Aber auch in der DDR war Schichtarbeit sehr verbreitet. Und auch dort war Schichtarbeit „arbeiten gegen die innere Uhr“ und die Arbeit im Mehrschichtbetrieb war besonders für Frauen belastend. Aber Schichtarbeiter wurden, egal ob Frau oder Mann, bei der Vergabe von Wohnungen und Ferienplätzen in betrieblichen Ferienunterkünften bevorzugt. Generell erhielten Beschäftigte im Mehrschichtsystem einen Urlaubstag im Jahr mehr. Das war in der DDR – nicht im Paradies.