Die Partei „Die Linke“ habe „ihren ersten großen Nach-Parteitagskrach“ schrieb die Zeitung „Neues Deutschland“ am 7. Juli. Der Erfurter Parteitag hatte Ende Juni zum Stopp der Gasleitung Nord Stream 2 die Position von Bundesregierung und CDU/CSU übernommen und mit dem Leitantrag des Parteivorstandes beschlossen: „Es ist richtig, dass angesichts des Ukrainekrieges Nord Stream 2 nicht in Betrieb genommen wird.“ Ein Antrag, in dem die EU-Embargos gegen Russland als Teil eines geostrategisch angelegten „Wirtschaftskrieges“ abgelehnt wurden, erhielt in Erfurt 226 Stimmen, der Leitantrag 303 Stimmen.
Zwei Tage vor dem „ND“-Bericht twitterte die „Linke“-Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht: „Nach Prognos-Studie droht bei Gas-Stopp BIP-Einbruch um 12 Prozent und Verlust von 5,6 Millionen Arbeitsplätzen. Wirtschaftskrieg ruiniert uns, nicht Russland! Sanktionen aufheben, zur Not Gas über Nord Stream 2 beziehen!“ Ähnlich argumentierte der „Linke“-Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Energie und Klimaschutz, Klaus Ernst, am 5. Juli in der „Rheinischen Post“: „Die Bundesregierung muss jetzt alles dafür tun, die Energieversorgung sicherzustellen.“ Dazu müsse man, „trotz des völkerrechtswidrigen Krieges, mit Russland reden. Gegebenenfalls auch darüber, Nord Stream 2 befristet in Betrieb zu nehmen.“
Die scharfe Reaktion von Partei- und Fraktionsführung kam postwendend, nachdem auch noch der „Deutschlandfunk“ gemeldet hatte, „Die Linke“ fordere Gespräche über Nord Stream 2. Den Parteispitzen war die Angelegenheit so wichtig, dass sie bei dem Sender eine Korrektur der Schlagzeile durchsetzten. Der Kovorsitzende der Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch twitterte: „Die Linke und die Linksfraktion fordern nicht die Aufnahme von Gesprächen über Nord Stream 2.“ Die Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan stellten ebenfalls auf Twitter fest, der Parteitag habe „klare Entscheidungen getroffen“, und erklärten: „Wir fordern einen Preisdeckel für Gasimporte, gezielte Sanktionen gegen Oligarchen, die Nichtinbetriebnahme von Nord Stream 2 und die Beschleunigung der Energiewende.“ Das Mitglied des „Linke“-Parteivorstandes und Stuttgarter Stadtrat Luigi Pantisano echauffierte sich auf Twitter: „Nein! Nein! Nein! Klaus Ernst und Sahra Wagenknecht vertreten nicht die Position der Partei Die Linke. Wir wollen nicht die Wiederaufnahme von Nord Stream 2 und auch nicht die Aufhebung von Sanktionen gegen Russland.“
Am 9. Juli tagte der neugewählte Linke-Parteivorstand zum ersten Mal und danach war, wie der Parteikovorsitzende Martin Schirdewan am Sonntag in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“ sagte, alles „intern geregelt“. Am Montag war Ernst in der „NTV“-Sendung „Frühstart“ zu Gast, nahm auch die Bezeichnung „Nord Stream 2“ nicht in den Mund, wiederholte aber ansonsten exakt alles, was er zuvor gesagt hatte, insbesondere dass die Bundesrepublik weiter Gas aus Russland beziehen sollte. Angesichts der Energiekrise, die auf die deutsche Bevölkerung zukomme, sei es „unmoralisch, die Sanktionen in dieser Art und Weise aufrechtzuerhalten“. Ähnliches äußerte Sahra Wagenknecht am selben Tag in den Zeitungen der Ippen-Gruppe – von „Frankfurter Rundschau“ bis „Merkur“.
Unverdrossen kündigte die Parteikovorsitzende Janine Wissler am selben Tag an, „Die Linke“ wolle im Herbst dafür auf die Straße gehen, dass die derzeitige Energiekrise nicht auf dem Rücken der ärmeren Bevölkerungsschichten ausgetragen wird, und wandte sich erneut gegen Überlegungen, Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen: „Das ist nicht die Position der Linken.“
Die Partei wird denen, die sie auf die Straße bringen will, zu erklären haben, warum sie nicht für die einfachste und billigste Lösung im Interesse der Bevölkerung ist, sondern dafür, die Extraprofite der Energiekonzerne zu fördern. Denn darauf läuft ihr Sprech- und Diskussionsverbot hinaus.