„Es freut mich sehr, dass ich sagen kann: 2022 war trotz aller Umstände für Bayer ein sehr erfolgreiches Jahr“, so der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann in seiner schon vor der Hauptversammlung des Konzerns am Freitag publizierten Eröffnungsrede. Um 8,7 Prozent auf 50,7 Milliarden Euro stieg der Umsatz, und zu einem Gutteil nicht „trotz aller Umstände“, sondern gerade wegen der Umstände. Der Agro-Riese erweist sich nämlich als Krisen-Profiteur. Die Mangellage auf dem Nahrungsmittel-Sektor infolge des Ukraine-Krieges sorgte für einen nicht unerheblichen Geldsegen in Leverkusen. „Das erhöhte Preis-Niveau und die damit verbundene verbesserte Einkommenssituation der Landwirte förderte die Anwendung hochwertiger Pflanzenschutzmittel in allen Regionen und Indikationen, vor allem bei den Herbiziden. Das wirkte sich positiv auf das Gesamtgeschäft von Crop Science aus“, hält der Geschäftsbericht fest. Auch für die eigenen Produkte konnte der Global Player mehr verlangen und so „ein erfolgreiches Kosten- und Preismanagement“ betreiben.
Mit diesem erfolgreichen Kosten- und Preismanagement steht Bayer keineswegs allein da. Andere Unternehmen übten sich darin mit vergleichbaren Ergebnissen, was die Inflation nicht unerheblich anheizte. Von einer Profit-Preis-Spirale statt von einer Lohn-Preis-Spirale sprechen deshalb immer mehr Experten. „Die Inflation wird nicht von überzogenen Lohn-Erhöhungen getrieben, sondern von extremen Gewinnen großer Firmen“, sagt etwa Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaft. Sogar die Europäische Zentralbank ist auf dieses Phänomen in ihrer jüngsten „geldpolitischen Erklärung“ schon aufmerksam geworden. So räumte die EZB-Direktorin Isabel Schnabel ein: „Ein Teil des hohen Inflationsdrucks dürfte in der Tat auf eine höhere Markt-Macht der Unternehmen zurückzuführen sein.“
Der Leverkusener Multi will seine Manager für ihr Kosten- und Preismanagement fürstlich entlohnen. Eine „Zielvergütung“ von 7,8 Millionen Euro für den Vorstandsvorsitzenden und bis zu 4,3 Millionen für seine Vorstandskollegen schwebt ihm vor. Und das im vollen Bewusstsein davon, dass diese Saläre diejenigen von normalen Tarifbeschäftigten im Konzern um ein Vielfaches übersteigen. Der Vergütungsbericht scheut sich nicht einmal, die genauen Relationen anzugeben: „Bezogen auf den Vorsitzenden des Vorstands betragen die Relationen 60:1 (Vorjahr: 63:1) zur Gesamtbelegschaft in Deutschland und 93:1 (Vorjahr: 95:1) zu den Tarifmitarbeitern.“
Bei der letzten Hauptversammlung erhielt der Vergütungsbericht nicht die erforderliche Mehrheit der Aktionäre, aber nicht aus solch profanen Gründen. Die großen Investment-Gesellschaften wollten Baumann & Co. die juristischen Risiken und Nebenwirkungen von Glyphosat – den gesundheitlichen schenken sie ebenso wenig Beachtung wie denen für Artenvielfalt, Wasser, Boden und Luft – auf dem Gehaltsscheck spüren lassen. Dieses Anliegen dürften die Finanzmarkt-Akteure nun auf Wiedervorlage setzen. Zudem ist von ihnen eine Infragestellung der jetzigen Unternehmensstruktur mit den drei Sparten „Agrar“, „Pharma“ und „Consumer Health“ zu erwarten. „Es gibt absolut keinen Grund, warum diese drei Geschäftsbereiche zusammen sein sollten. Das bringt keine Synergie-Effekte, keine Vorteile“, sagt etwa David Herro von Harris Associates, Bayers fünftgrößtem Anteilseigner. Das Ganze ist weniger als die Summe seiner Teile – diese Rechnung machen Herro & Co. auf.
Für die Zahlen aus der Öko-Bilanz, die sich umgekehrt proportional zu denen der Geschäftsbilanz verhalten, interessieren sie sich dagegen weniger. Die Folgen der gnadenlosen Profitjagd für Mensch, Tier und Umwelt ignoriert die Branche konsequent. Nicht weniger als 3,03 Millionen Tonnen Treibhaus-Gase stieß Bayer 2022 aus. Auch blies der Konzern mehr ozonabbauende Substanzen und mehr flüchtige organische Stoffe in die Luft – vor allem von seiner Dreckschleuder im indischen Vapi aus – und setzte mehr Schwefeloxide und Staub frei. Und in die Gewässer leitete der Konzern mehr Phosphor, Schwermetalle und Anorganische Salze ein.
Mit einer direkten Kritik daran mochte die Aktiengesellschaft sich auch in post-pandemischen Zeiten nicht konfrontieren. Anders als etwa Henkel, Telekom, Deutsche Post, BASF und VW flüchtete sie mit ihrer Hauptversammlung ins Internet. So können die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG), das Pestizid Aktions-Netzwerk, Foodwatch, die Aurelia-Stiftung und diverse Einzelkämpfer ihre Einsprüche gegen die Geschäftspraxis von BAYER nur per Live-Zuschaltung vorbringen. Mit Themen wie „Glyphosat“, „PFAS“, „Medikamenten-Versuche an Heimkindern“, „Mercosur-Abkommen“ und „Doppelte Standards beim Pestizid-Export“ beabsichtigen sie die Tagesordnung zu erweitern. Aber die CBG stellt den Agro-Riesen auch in der realen Welt und hält vor der „Sendezentrale“ an BAYERs Stammsitz in Leverkusen eine Kundgebung ab, zu der sie unter anderem die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) mit ihren Treckern, Fridays for Future und französische Pestizid-Kritiker der Gruppe Secrets Toxiques erwartet.