Das Betreuungsverbot in Kitas wird vielerorts immer weiter gelockert. Viele Kitas sind damit überfordert. Der bayerische Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat dazu eine Umfrage unter knapp 600 Beschäftigten aus sozialpädagogischen Berufen veröffentlicht. UZ sprach mit der Gewerkschaftssekretärin Gabriele Albrecht-Thum aus München.
UZ: Eine Umfrage der GEW Bayern im sozialpädagogischen Bereich ergab, dass ein ausreichender Gesundheitsschutz nicht möglich ist. Wie kam es dann zu den Lockerungen?
Gabriele Albrecht-Thum: Es wurde verwiesen auf den allgemeinen Hygiene- und Gesundheitsschutz, wie er von verschiedenen Institutionen wie dem Robert-Koch-Institut veröffentlicht wurde. Dabei wurde unseres Erachtens zu wenig berücksichtigt, dass eines der wichtigsten Instrumente des Infektionsschutzes, nämlich das des Abstandhaltens, gar nicht möglich ist. Vermutlich war der Druck zu groß, dass die Kinder der Menschen aus systemrelevanten Berufen Betreuung brauchen, damit ihre Eltern arbeiten können. Diverse Notbetreuungen gibt es schon seit ein paar Wochen.
Es gibt jetzt noch keine generelle Öffnung, sondern das Betreuungsverbot gilt nach wie zuvor. Die Notbetreuung wird jedoch nach und nach ausgeweitet, seit Montag kommen alle Vorschulkinder und die Geschwisterkinder in die Einrichtungen. Es war eine Abwägung zwischen dem, was dringend nötig an Betreuung für die Kinder ist, und dem, was an Gesundheitsschutz leistbar ist in den Kitas.
UZ: Sind die Kitas überhaupt in der Lage, die Anforderungen zu stemmen?
Gabriele Albrecht-Thum: Ich denke, dass das unterschiedlich ist – je nach Ausstattung beziehungsweise nach Raumgröße der einzelnen Kitas. Eine große Kita mit viel Platz kann die Notbetreuung mit einigermaßen Planung gut hinkriegen. Das gilt nur in Kitas, die gewisse Raumkapazitäten und auch Freilaufkapazitäten haben. Wenn Kinder auch draußen betreut werden können, geht alles einfacher als in einer kleinen Kita, die nur einen Raum mit Küche hat. Da sind die Vorbedingungen sehr unterschiedlich.
UZ: Die Umfrage ergab auch, dass ein Großteil der Beschäftigten in Kitas oder deren Angehörige zur Risikogruppe gehören. Kann man dann überhaupt die Öffnungen verantworten?
Gabriele Albrecht-Thum: Es gilt bei den Risikogruppen auch das Gebot des Abstandhaltens und des Hygieneschutzes. Es wäre aus unserer Sicht nötig gewesen, dass Risikogruppen nur auf freiwilliger Basis eingesetzt werden. Wenn jemand zur Risikogruppe gehört beziehungsweise Angehörige hat, dann muss er daheim bleiben können. Dieses Freiwilligkeitsprinzip fehlt nach wie vor.
UZ: Ist es in Kitas überhaupt möglich, die Maßnahmen und Abstandsregeln anzuwenden?
Gabriele Albrecht-Thum: Wenn man sich kleine Kinder vorstellt, in der Krippe, im Kindergarten oder auch in der Grundschule, ist das die große Frage. Stellt man sich zum Beispiel vor, ein kleines Kind fällt hin und schlägt sich das Knie auf und muss getröstet werden, ist das fraglich. Eine große Erleichterung wäre es gewesen, wenn man sich auf solche Situationen in Ruhe hätte vorbereiten können. Man hätte beispielsweise Modelleinrichtungen öffnen und modellhafte Versuche durchführen können. Dann hätte man sich auf solche Situationen einstellen, sich vorher grundlegende Gedanken dazu machen können.
UZ: Was müsste getan werden, dass eine Öffnung der Kitas gerechtfertigt wäre?
Gabriele Albrecht-Thum: Zuallererst müsste man die Schutzmaßnahmen sicherstellen. Also dass ausreichend Platz vorhanden ist, Schutzkleidung und alle nötigen Hygieneartikel vorrätig sind. Das müsste dann flächendeckend überprüft werden. Daneben bräuchte man eine Qualitätssicherung, die die ganzen Maßnahmen auch überprüft und kontrolliert. Erst wenn alle Schutzmaßnahmen ergriffen sind, erst dann sollte eine Kita-Öffnung erfolgen. Das kann im Zweifelsfall auch dazu führen, dass eine Kita eben nicht geöffnet werden kann.
Wir erleben, dass die Kita-Leitungen sich in einem wahnsinnigen Spannungsfeld befinden. Sie müssen in hoher Geschwindigkeit und ohne genaue Vorgaben selber entscheiden. Dazu kommt, dass es in kleineren und auch größeren Kitas selten Betriebsräte gibt. Es fehlt dann an einer Zusammenarbeit eines Betriebsrats mit den Sicherheitsfachkräften und den Betriebsärzten, die im Idealfall den Plan für die jeweilige Kita erstellen und die nötigen Maßnahmen dazu durchführen, damit die Öffnung erfolgen kann.
Das Gespräch führte Christoph Hentschel