Unter dem Motto „Auftrag Zukunft“ führte die IG BAU vom 26. bis 29. September ihren 23. ordentlichen Gewerkschaftstag in Kassel durch. Die über 300 Delegierten bestätigten den fünfköpfigen Bundesvorstand.
Die IG BAU, eine Gewerkschaft mit 150-jähriger Tradition, deckt branchenpolitisch ein breites Berufs- und Aufgabenspektrum ab. Dazu gehören die Bauberufe, die im grünen Bereich zusammengefassten Branchen Forst- und Waldwirtschaft und landwirtschaftliche Berufe sowie der Garten- und Landschaftsbau. Dazu kommt mit dem Gebäudereinigerhandwerk eine wachsende und starke Branche. Das Ganze ergibt einen Mix an unterschiedlichsten Lohn- und Tarifstrukturen, die in der Arbeit der Gesamtorganisation abgebildet werden müssen.
Wohnungsbau und Straßenbau haben einen hohen Stellenwert in der Baubranche. Die Zukunft des – vor allem bezahlbaren – Wohnens war eines der zentralen Themen des Kongresses. Klare Aussagen und konkrete Vorschläge waren im Grundsatzreferat zu hören und standen in den Anträgen zur Abstimmung. Dazu gehören die Forderung nach einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit wie auch das Instrument des Erbbaurechts. Hier sieht die IG BAU eine direkte Verbindung zu den sozialen Interessen ihrer Mitglieder und deren Familien. Die Gefahr, die eigene Wohnung nicht mehr bezahlen zu können, ist trotz guter Tarifabschlüsse – gerade in der jüngsten Zeit – erheblich angewachsen.
Die IG BAU favorisiert in dieser Hinsicht einen befristeten Mietenstopp. Im Unterschied zu diversen anderen Initiativen für mehr und bezahlbaren Wohnraum zur Verbesserung der Wohnungsversorgung stellte der Bundesvorsitzende Robert Feiger unter anderem einen Vorschlag vor, der eine staatliche Übernahme von 25 Prozent plus 1 am Aktienkapital großer Wohnungsunternehmen vorsieht. Damit könnte eine schnelle und direkte Einflussnahme auf den Wohnungsmarkt erfolgen.
Mit Blick auf die tarifpolitische Strategie wurde intensiv und kontrovers über eine Kündigung des seit März 1979 bestehenden Schlichtungsabkommens im Bauhauptgewerbe debattiert. Zum Ende des Gewerkschaftstags wurden richtungsweisende Anträge dazu behandelt und als Auftrag (Arbeitsmaterial an die Bundesgremien) beschlossen. Die im Abkommen festgeschriebene Friedenspflicht (Streikverbot) soll geändert werden, so dass auch Warnstreiks während der Schlichtung möglich sind. Aus Sicht vieler Kolleginnen und Kollegen wäre dies ein Schritt in Richtung einer offensiveren Nutzung der Kampfstärke bei Tarifverhandlungen im Bauhauptgewerbe.
Emotional und kontrovers wurden von den Delegierten die beiden Anträge zur Friedens- und Kriegsfrage diskutiert. Ein Antrag, dass die Gewerkschaft sich gegen Waffenlieferungen in Spannungsgebiete ausspricht und die Diplomatie als das wichtigste Mittel zur Bewältigung von Konflikten benennt, wurde in der Sache aufgeweicht. Die geänderte Fassung entspricht in der Formulierung einem fast gleichlautenden Initiativantrag des Bundesvorstands zum Krieg in der Ukraine. Dieser – erst zu Beginn des Gewerkschaftstags vorgelegte – Initiativantrag brachte die derzeit vorherrschende gesellschaftliche Debatte über die Haltung der Politik der Bundesregierung zum Ausdruck. Im Kern werden – entgegen der bisherigen Haltung der Gewerkschaft zu Kriegshandlungen – die Lieferung von Waffen und andere Maßnahmen wie die „Sanktionen“ genannten Mittel des Wirtschaftskriegs als letztlich legitim angesehen und nicht abgelehnt. Dafür steht leider das folgende Zitat: „Pazifismus um jeden Preis im jetzigen Moment ist nicht die richtige Antwort.“ Angenommen wurde dieser Antrag von rund 73 Prozent der Delegierten. Diejenigen, die diesem Antrag nicht zustimmten, werden sicher bei den kommenden Aktivitäten und Demonstrationen gegen die sozialen Auswirkungen der durch die „Hilfspakete“ der Bundesregierung kaum abgefederten und existenzbedrohenden Verteuerungen des Lebens dabei sein.
Im Antrag wurde zudem formuliert, „dass die Arbeitgeber ihren Teil zur Bewältigung der Krise beitragen“ sollen. Mit diesem Wunschdenken kann der Enttäuschung, Wut und Angst der Kolleginnen und Kollegen auf Baustellen, bei den prekär Beschäftigten in der Reinigungsbranche und bei den Auszubildenden nicht angemessen als „Auftrag Zukunft“ entsprochen werden.