Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in seiner Rede zum 80. Jahrestag des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion die antirussischen und antikommunistischen Klischees nicht wiederholt, die wir von unseren Regierenden gewohnt sind. Er erinnerte an den „ungeheuren Beitrag der Frauen und Männer, die in den Reihen der Roten Armee gegen Nazideutschland gekämpft haben“. Wir dürften nicht zulassen, den Völkern der ehemaligen Sowjetunion als Feinde zu begegnen. Und: „Geschichte darf nicht zur Waffe werden!“ Steinmeier hat ehrlicher als üblich an die deutschen Kriegsverbrechen in der Sowjetunion erinnert.
Nicht erinnert hat er daran, wie deutsche Konzerne an sowjetischen Sklaven profitiert haben. Wie diese Konzerne diesen Krieg und die Hitlerdiktatur gefordert, vorbereitet und getragen haben. Wie die antikommunistischen Mörder nach der Befreiung zu Partnern der USA wurden, wie diese Republik von ihnen aufgebaut und kontrolliert wurde. Geschichte darf nicht zur Waffe werden? Ernsthafte Schlussfolgerungen aus dieser Geschichte könnten tatsächlich Waffen gegen die bestehende Ordnung in diesem Land werden. Ehrlich betroffenes Erinnern darf es 80 Jahre später immerhin sein.
Regelrecht konterkariert hat Bundeskanzlerin Angela Merkel das Bemühen ihres Bundespräsidenten. Am Vortag des 80. Jahrestages des Überfalls Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion eröffnete sie das „Dokumentationszentrum Flucht – Vertreibung – Versöhnung“ in Berlin. Ihre Regierung hat 20 Jahre darum gekämpft, den Vertriebenenrevanchismus so aufzuhübschen, dass er die für Deutsch-Europa nötigen Beziehungen zu Polen und Tschechien nicht zu sehr behindert. Das Leid der Opfer des Naziterrors, der umgesiedelten Deutschen und der heutigen Flüchtlinge nebeneinander stellen – auch so kann ein Geschichtsbild zur Waffe gemacht werden. Opfer seien sie schließlich alle.