Am 9. Januar wäre Jupp Angenfort 100 Jahre alt geworden

Konsequenter Kämpfer in Wort und Tat

Jürgen Schuh

„Jagt die braunen Richter fort – Freiheit für Jupp Angenfort!“ skandierten Josef Angenforts Genossen, Kameraden und Freunde nach seiner erneuten Inhaftierung vor dem Zuchthaus am 21. März 1969.

Jupp – wie ihn seine Mitstreiter nannten – wäre am 9. Januar 100 Jahre alt geworden. Er war einer der entschiedensten Kämpfer gegen die während der Adenauer-Zeit betriebene Politik der Remilitarisierung, Reaktion, Restauration und Spaltung der Nation, die auch die Geschichte einer verlogenen politischen Strafjustiz war – ein Aspekt, der heute weitgehend aus dem Blick geraten ist und gerne verschwiegen wird.

Am Anfang stand das im Juni 1951 erfolgte Verbot der Freien Deutschen Jugend (FDJ), deren Bundesvorsitzender Jupp seit seiner Rückkehr aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft war und die vor allem aufgrund ihres Kampfes gegen die Wiederbewaffnung der BRD im Visier von Regierung und Verfolgungsbehörden stand. Im Verbotstext hieß es, die FDJ sei „eine Vereinigung, deren Tätigkeit auf die Begehung strafbarer Handlungen, von Mal- und Klebeaktionen, von verbotenen Demonstrationen und die Herausgabe und Verteilung illegalen, die Staatsorgane beleidigenden Schrifttums gerichtet ist“.

In den 1950er-Jahren wurden aufgrund des FDJ-Verbots sowie des ihm folgenden Ersten Strafrechtsänderungsgesetzes vom August 1951 und des KPD-Verbots vom August 1956 zwischen 150.000 bis 200.000 Verfahren gegen Kommunisten und mutmaßliche Sympathisanten eingeleitet und durchgeführt, von denen rund 10.000 mit Verurteilungen endeten.

Bei der unter Bruch seiner Immunität als nordrhein-westfälischer Landtagsabgeordneter in Duisburg auf offener Straße erfolgten Verhaftung am 12. März 1953 wurde Jupp vorgeworfen, „dringend verdächtig“ zu sein, in ein „hochverräterisches Unternehmen“ verwickelt zu sein und „als Rädelsführer einer Vereinigung angehört zu haben, deren Verfassung oder Zweck oder deren Tätigkeit sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten“. Dem Festgenommenen wurde ein „Zusammenwirken mit den Machthabern der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands“ vorgeworfen, um „ein Gewaltsystem bolschewistischer Prägung vorzubereiten“.

Abenteuerliche Verdächtigungen – am 3. März 1954 schrieb dazu die „Süddeutsche Zeitung“: „Die meisten jener Hochverratsprozesse gegen verhaftete Kommunisten (so gegen Angenfort) stehen auf ausgesprochen schwachen Füßen. Die Anklagepunkte sind rasch aufgezählt; es sind im Wesentlichen zwei: erstens Agitation gegen die ‚Remilitarisierung‘, zweitens Werbung für die ‚Wiedervereinigung Deutschlands‘.“

In den ersten Jahren nach Kriegsende und Zerschlagung des Hitlerfaschismus waren sich alle Parteien unter Einschluss der CDU programmatisch einig: Ein Nachkriegsdeutschland müsse ein entmilitarisierter, dem Zugriff des großen Kapitals entzogener Staat sein. Davon war Mitte der 1950er-Jahre keine Rede mehr: Am 4. Juni 1955 wurde Jupp wegen „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ und „Vergehens der Zersetzung“ zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Wegen „Uneinsichtigkeit“ des Angeklagten wurden sechs Monate der erlittenen Untersuchungshaft nicht anerkannt.

Walter Menzel, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, erklärte in der Haushaltsdebatte des Bundestags: „Ist dieses Strafmaß überhaupt haltbar? Vergleicht man dieses Urteil mit den milden Urteilen gegen Kopfjäger aus den Hitlerschen KZs, gegen viehische Mörder, die nachträglich noch begnadigt werden, dann ist man empört darüber, dass Menschen vor dem Richterstuhl so behandelt werden. Wir sind in Westdeutschland wieder so weit, dass alle Gegner des Bundeskanzlers als Bolschewisten oder des Hochverrats angeklagt werden.“

Einer der vormaligen Mitstreiter im Bundesvorstand der FDJ, Klaus Hübotter, schrieb am 17. September 1987 in einem an seinen Genossen gerichteten Solidaritätsschreiben: „Was steht denn nun für Angenfort? Seit 50 Jahren: Tat und Wort!“ Besser lässt es sich kaum sagen: Jupps Leben war ein Leben für die Arbeiterbewegung. Von den Verfolgungsmaßnahmen des Adenauer-Staates ließ er sich nicht schrecken. Er blieb als Mitglied der illegalen KPD, später – nach deren Neukonstituierung – der DKP sowie der VVN-BdA, aktiv für sozialen Fortschritt, Antifaschismus und Frieden. Für ihn war immer klar, dass Faschismus und imperialistischer Krieg sich gegenseitig bedingen und ersterer Voraussetzung für Letzteren war und wieder sein kann. Damit handelte Jupp als Kommunist und Antifaschist konsequent im Sinne des Auftrags, der im „Schwur von Buchenwald“ vom April 1945 formuliert worden war: „Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

Jupp Angenfort – biografische Daten
* 9. Januar 1924: Geboren als Sohn einer Eisenbahnerfamilie mit vier Geschwistern in Düsseldorf
* Schulzeit und Abitur in Düsseldorf, Mitglied der Katholischen Pfadfinder
* 1942 zur Wehrmacht eingezogen
*
1943: Sowjetische Kriegsgefangenschaft, dort Begegnung mit jüdischen Sowjetsoldaten und kommunistischen Antifaschisten und Mitglied des Nationalkomitees Freies Deutschland
* 1949: Rückkehr aus der Gefangenschaft
* Ab 1950 Mitglied der Kommunistischen Partei (KPD), der Freien Deutschen Jugend (FDJ) sowie der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV)
* Seit 1951 Mitglied des Landtags von NRW, Bundesvorsitzender der FDJ
* 9. Juni 1951: Verbot der FDJ
* 10. März 1953: Verhaftung trotz Immunität in Duisburg
* 4. Juni 1955: Verurteilung wegen „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ zu fünf Jahren Zuchthaus
* 17. August 1956: Verbot der KPD. Infolge des Verbots von FDJ und KPD wurden Zehntausende Bürgerinnen und Bürger der BRD verfolgt beziehungsweise interniert
* April 1957: Entlassung aus dem Zuchthaus Münster
* 1957 bis 1962: Mitglied des Politbüros der verbotenen KPD, dann untergetaucht
* September 1961: Musterurteil des Bundesgerichtshofs gegen linke Vereinigungen mit folgender Definition: „Eine Ersatzorganisation ist ein Personenzusammenschluss, der anstelle der aufgelösten Partei deren (…) Nah-, Teil- oder Endziele ganz oder teilweise, kürzere oder längere Zeit, örtlich oder überörtlich, offen oder verhüllt weiter verfolgt oder weiter verfolgen will.“
* 28. Februar 1962: erneute Inhaftierung
* 4. April 1962: Flucht aus der Haft in München-Stadelheim
* Dezember 1968: Rückkehr nach Düsseldorf
* 21. März 1969: erneute Verhaftung
* 23. April 1969: Entlassung aus dem Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen
* Von 1969 bis 1989 Mitglied des Präsidiums der DKP, Leiter der Abteilungen für Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik des DKP-Parteivorstands
* Ab 1988 Landesvorsitzender der VVN-BdA NRW. Mitglied der Leitung der VVN-BdA auf Bundesebene; ab 2002 Landessprecher der VVN-BdA NRW; ab 2008 Ehrenvorsitzender der VVN-BdA NRW
* Verstorben am 13. März 2010
Auszugsweise aus: „Jupp Angenfort – Sprung in die Freiheit. Die Geschichten des Josef A.“, Hrsg. von Hannes Stütz, PapyRossa Verlag Köln 2011.
Zusammengestellt von Jürgen Schuh

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"Konsequenter Kämpfer in Wort und Tat", UZ vom 5. Januar 2024



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