Vom „Ende der Ära Merkel“ ist in den meisten Reaktionen auf das Wahlergebnis in Mecklenburg Vorpommern die Rede. Der Wahltriumph der AfD, die mit ihren 20,8 Prozent die CDU (19,0) auf den dritten Platz verwies, überschattet alle anderen Fragen. Das Wahlergebnis für die AfD wird nach allen Prognosen kein einmaliger „Ausrutscher“ nach oben sein. Hinter der AfD steht ein noch längst nicht ausgeschöpftes Wählerpotential auch im Westen.
Nach einer zu Wochenbeginn veröffentlichten INSA-Umfrage würde die AfD, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, auf 15 Prozent kommen und drittstärkste Fraktion im Bundestag sein – deutlich vor den Grünen und der Partei „Die Linke“, deren Status als „Volkspartei des Ostens“ immer mehr zerbröselt. In Mecklenburg-Vorpommern hat „Die Linke“ laut infratest dimap insgesamt 24 000 Wählerinnen und Wähler verloren, davon 16 000 an die AfD. Auch CDU (22 000) und SPD (15 000) verloren an die AfD. Da ist es kein Trost, dass die 19 000 Wähler, die die NPD an die AfD abgegeben hat, dazu beitrugen, dass sie aus dem Landtag geflogen ist.
Wir haben im Leitantrag des 21. Parteitags die „Scharnierfunktion“ der AfD und ihre Rolle für den Brückenschlag ins offene faschistische Lager hervorgehoben. Es gehört zum Charakter solcher Türöffner-Parteien, dass sie die Klaviatur der Sozialdemagogie meisterhaft bedienen können. Und es wiederholt sich auch jetzt, dass sich aus der Schwäche von sozialistisch orientierten Parteien in der Entwicklung von Klassenpolitik, große Teile der Arbeiterklasse von dieser Demagogie einfangen lassen.
Wir müssen eine klare Definition der AfD vornehmen. Aus unserer Sicht ist sie dieses Scharnier, sie ist nationalistisch und rassistisch, sie ist aus unserer Sicht aber keine faschistische Partei. Ihre Kombination mit den Ansätzen von Massenbewegung, wie wir sie mit Pegida etc. erlebten ist brandgefährlich, aber auch dies waren und sind keine faschistischen Massenaktionen. Die AfD hat ihren stärksten Wähleranteil in der Gruppe der 35 bis 44 Jahre alten Männer, und sie hat unter den Arbeitern mit 33 Prozent den höchsten Zuspruch aller Parteien. Bei den Erwerbslosen erreicht die Zustimmungsquote 29,9 Prozent.
Keine ostdeutsche Frage
Weil es eben nicht um eine ostdeutsche Frage, nicht um eine nur kurzlebig bedeutsame Anti-Ausländer- oder Anti-Flüchtlingsstimmung geht, sondern um eine ganzes Bündel von negativen Lebenserfahrungen, von denen vor allem die arbeitende Bevölkerung in Ost und West betroffen ist, war die Kandidatur der DKP umso richtiger und wichtiger. Wir danken unseren Genossinnen und Genossen in Mecklenburg-Vorpommern. Dass sie mit ihrer Kandidatur, einem spezifisch auf Mecklenburg-Vorpommern zugeschnittenen Wahlprogramm an die Öffentlichkeit getreten sind und dafür über 1 300 Stimmen gewonnen haben, war richtig, war mutig und ein politischer Gewinn. Unsere jüngste Bezirksorganisation ist noch klein und trotzdem hat sie famos gekämpft. Im Wahlkampf wurden knapp 50 000 Materialien verbreitet. Es fanden Aktivitäten in 31 Orten von Altentreptow über Güstrow, Rostock, Schwerin, Stralsund bis Wismar und Zingst statt. Zu den Aktivitäten zählen zwölf Infotische und sechs Veranstaltungen. Die Genossinnen und Genossen sagen: „Hervorzuheben sind auch ungezählte Gespräche und Kontaktaufnahmen. Wir wollen und werden präsenter werden. Dieses Land braucht eine viel stärkere DKP. Eine stärkere DKP braucht mehr Mitglieder.“ So ist es.
Wir haben die Kandidatur als Teil eines längerfristigen „Parteiaufbaus Ost“, eines Kampfes um die Stärkung der Partei verstanden. Wer denn außer uns verbindet die Frage des reaktionären Staatsumbaus und der bewussten Schwächung und Zerlegung der sozialen Sicherungssysteme mit der Flüchtlingsfrage zu einer Politik des gemeinsamen Klassenkampfes. Wer denn sonst erklärt, dass die Renten nicht deshalb „unsicher“ sind, weil es „zu viele Flüchtlinge“ gibt? Gerade an der Rentenfrage, an der Frage der Armut im Alter werden doch die langfristigen Folgen von Niedriglohnsektor, prekären Arbeitsverhältnissen, Dauerarbeitslosigkeit und permanentem Runterfahren der Rentenbemessungsgrundlage deutlich. Die Umwandlung von privat eingezahlten Rentenbeiträgen in Bestandteile der internationalen Banken- und Börsenspekulation, die ständige Runterführung des Arbeitgeberanteils an den Renten- und Krankenkassenbeitragszahlungen und die Erhöhung des „Eigenanteils“ der Versicherten – das alles hat mit sozialreaktionärem Umbau der gegen die Kapitalisten hart erkämpften Fortschritte im Renten- und Gesundheitswesen zu tun.
Es ist deshalb für uns wichtig, dass wir das Rentenprogramm der IG Metall jetzt in die innergewerkschaftlichen aber auch die allgemeingesellschaftlichen Diskussionen einbeziehen und unsere eigenen Positionen im Zuge dieser Diskussionen weiter ausarbeiten und aktualisieren.
Die im nächsten Jahr stattfindenden Bundestagswahlen werfen ihren Schatten voraus. Spekulationen über mögliche Regierungskoalitionen machen bereits die Runde. Man mag sich als Linke/r in diesem Land sagen, dass es für die Arbeitenden, die Arbeitslosen, Rentner, Jugendlichen und Ausgegrenzten wichtigere Dinge gibt als die Frage, welcher Teil der herrschenden Klasse sich im Gerangel um die Regierungsposten durchsetzt und welche Koalitionsform am Ende obsiegen wird oder nicht. Denn – so hört man im Kreise von Kolleginnen und Kollegen derzeit immer wieder – „am Ende bleibt doch alles beim Alten bzw. der ‚Alten‘“.
Wahlen als Barometer
Doch als Marxisten gehen wir an diese Frage anders ran. Wir gehen davon aus, dass Wahlen eine Art Barometer darstellen oder wie es Lenin so treffend formulierte: „Das allgemeine Wahlrecht ist ein Gradmesser für die Reife des Verständnisses das die verschiedenen Klassen ihren Aufgaben entgegenbringen. Es zeigt, wieweit die verschiedenen Klassen bereit sind, ihre Aufgaben zu lösen. Die eigentliche Lösung der Aufgaben aber erfolgt nicht durch Abstimmung, sondern durch den Klassenkampf (…).“ (LW 27, S. 262)
Der Parlamentarismus ist für uns also nicht politisch erledigt, auch wenn uns die Beteiligung bei der nächsten Bundestagswahl womöglich mit Ergebnissen konfrontiert, die uns nicht in einen Freudenrausch versetzen können und werden. Ein Barometer ist nicht gut oder schlecht. Jede Partei bekommt am Wahltag eine Art Attest für ihre Praxistauglichkeit. Man kann sich durch dauerhaften Kandidaturverzicht zwar einreden, dass man „eigentlich“ ja besser dastehen könnte und ein besseres „Attest“ verdient hätte, wenn es „die Medien“ oder den Medienboykott nicht gäbe; aber wir würden uns damit selbst in die Taschen lügen.
Dass Kommunisten durch das übliche bürgerliche Raster von Ehrsamkeit und Akzeptanz fallen ist das Normalste auf der Welt. Man kann sich als Kommunist nicht darüber beklagen, dass einem der Wind nicht in die Segel bläst, wenn man gegen den allgemeinen gesellschaftlichen Konsens segelt, der im Kapitalismus und in der vom Kapital geprägten bürgerlichen Demokratie das „Maß aller Dinge“ sieht.
Wir sind radikal, wir sind Systemgegner, wir stehen nicht auf der Seite der Mächtigen. Wir wollen den Schwachen Mut machen zu erkennen, dass sie die eigentliche Macht aufbringen könnten, wenn sie es wollten.
Die Spekulationen schießen derweil mächtig ins Kraut. Das geht von der Variante „Rot-Rot-Grün“, der die meisten Kommentatoren keine realistische Chance beimessen, bis zu der immer häufiger in den Vordergrund gerückten Variante „Schwarz-Grün“.
Relevante Teile der ehemaligen grünen „Fundamentalopposition“, die sich nicht erst mit Winfried Kretschmann zur staatstragenden, stinkbürgerlichen und auf akademische Mittelschichten stützende Partei entwickelt hat, favorisieren nun auch für die Bundesebene dieses Regierungsmodell. Früher haben sie dazu den Kalauer auf Demos gerufen: „Lieber in der Front des Volkes als im Arsch der Bourgeoisie“.
Die SPD ist derzeit weit entfernt von jeglicher Führungsrolle in irgendeinem Wahlbündnis; sie ist dabei sich noch mehr in internen Machtkämpfen zu zerfleischen. Sigmar Gabriel erwächst jetzt neues Ungemach wegen seiner Zustimmung zu CETA, dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada. Dabei bleibt der eigentliche Skandal, den dieses Abkommen beinhaltet, bislang weitgehend unbeachtet. Auf der kanadischen Seite sind es vor allem US-Konzerne, die über ihre kanadischen Zweigniederlassungen durch CETA all das durchsetzen wollen, was ihnen durch das mögliche Scheitern des TTIP zu entgleiten droht. Dass die europäische Öffentlichkeit und Protestbewegung sich in erster Linie auf den Disput um TTIP konzentriert, macht es den US-Konzernen möglich im Windschatten der TTIP-Kontroverse in aller Ruhe CETA vorzuschieben. Das gehört in die Vorbereitung auf die in der nächsten Woche stattfinden Anti-TTIP Demonstrationen unbedingt mit hinein. Wer Nein zu TTIP sagt, muss zugleich Nein zu CETA sagen. Die sich andeutende rhetorische Absage von Teilen der SPD-Führung an TTIP – bei gleichzeitiger Zusage zu CETA – das ist die eigentliche politische Schweinerei. Und wir müssen auch deutlich machen: TTIP ist die Wirtschafts-NATO. Wir sagen Nein zu TTIP und Nein zur NATO.
Auf Seiten der CDU ist die Zeit der unangefochtenen Kanzlerschaft von Angela Merkel beendet. Die innerparteiliche Opposition, die das berühmte Merkelsche „Wir schaffen das“ aus zumeist tiefreaktionären Motiven ablehnt und bekämpft, meldet sich deutlich zu Wort. Selbst die Verschärfung der Ausländer- und Innenpolitik durch das neue „Sicherheitspaket“ von Innenminister de Maizière, die den Umbau der BRD zu einem „autoritären Sicherheitsstaat“ – so unsere Charakterisierung der Rechtsentwicklung im Parteiprogramm und im „Leitantrag“ des 21. Parteitags – immer mehr beschleunigt, reicht dem nationalkonservativen Spektrum der CDU/CSU nicht. Es gibt aber noch keinen wirklich durchsetzungsfähigen Gegenspieler, der zu einer alternativen Führungsfigur und Herausforderung für die Kanzlerin werde könnte.
Rote Haltelinien
In der Partei „Die Linke“ tobt die Debatte in Sachen Wirtschafts-, Ausländer- und Sicherheitspolitik. Genosse Uwe Fritsch wertet in seinem Antrag, der sich gegen die flächendeckende Kandidatur der DKP mit Landeslisten ausspricht, den Magdeburger Parteitag als einen gewissen Linksschwenk. Zumindest aber sieht er in der Kombination aus AfD-Wahlerfolg und Entwicklung der Linkspartei einen Grund nicht flächendeckend anzutreten. Wir sehen das anders. Aus unserer Sicht stehen wir zwar vor der Gefahr eines Rechtsschwenks der Republik, aber unterhalb der Qualität einer faschistischen Entwicklung. Wäre dies anders, müssten wir auch bei den Wahlen alles dem Ziel des Stopps unterordnen. Wir meinen aber, dass wir uns in einer Phase befinden, in der wir der Entwicklung der kommunistischen Partei – einzigartig, weil revolutionär; Teil der Linken und damit Druckfaktor von links – viel Gewicht geben müssen.
Wir sehen aber auch in der Entwicklung der Partei „Die Linke“ selbst eine Notwendigkeit für unsere Kandidatur. Neben allen taktischen Zugeständnissen in manchen Formulierungen des Magdeburger Parteitags hat aus unserer Sicht die „Ramelow“-Richtung faktisch die interne Meinungsführerschaft errungen. Ihre Devise heißt „Bündnisfähigkeit“ herstellen und entsprechenden „Ballast“ abwerfen, damit „Rot-Rot-Grün“ möglich wird. Welche „roten Haltelinien“ dafür aufgegeben werden, wird man noch abwarten müssen.
Die Sichtweise ist bei vielen Kommunisten in der Linkspartei ähnlich. Unser Freund und Genosse Ekkehard Lieberam sagt: „Ärgerlich ist die Geschichtsvergessenheit bei der Linkspartei. Dies zeigt sich ja nicht nur in dem devoten Kniefall in Thüringen in Sachen ‚Unrechtsstaat, Willkürstaat und Alltagsdiktatur DDR‘. Generell spielen in der aktuellen Debatte um die Regierungsfrage geschichtliche Erfahrungen und Lehren so gut wie keine Rolle.“
Auf die Frage: „Du hast (…) in Deiner Broschüre Einschätzungen zur Regierungspraxis von SPD und nunmehr auch PDS und Linkspartei getroffen, die alle die Kurt Tucholsky zugeschriebene Sentenz bestätigen ‚Sie dachten, sie seien an der Macht, dabei waren sie nur an der Regierung.‘ Wie erklärst Du Dir, dass viele Politiker der Linkspartei hier offenbar noch weniger lernfähig sind als die Versuchskaninchen aus der Biologie?“ antwortet er: „Das mit der mangelnden Lernfähigkeit hat strukturelle Gründe. Wer als Linker auf Regierungskurs oder gar Regierungspartei ist, verliert die Fähigkeit zu einer kritischen Gesellschaftsanalyse und wird unglaubwürdig. (…) Langeweile sehe ich vor allem im Mangel an einem klaren politischen Profil der „Linken“ als sozialistische Partei und Friedenspartei. Über eine gesellschaftliche Alternative zum Krisenkapitalismus wird in der Linkspartei kaum noch ernsthaft diskutiert. Ihre Flüchtlingspolitik ist geprägt von konträren Auffassungen, erreicht oft nicht die Menschen – und ignoriert zudem in leichtfertiger Weise Befunde kritischer Migrationspolitik und der Rolle der Migration im Rahmen gesellschaftlicher Destabilisierung. Die Linkspartei will Völkerrechtspartei sein, aber weigert sich, klar zu sagen, dass die derzeitige unmenschliche kapitalistische Weltordnung gestürzt werden muss. Sie drückt sich um einen klaren Bruch mit dem vom Finanzkapital beherrschten neoliberalen EU-System.“ (…)
Das vollständige Referat wird in den DKP-Informationen 6/2016 veröffentlicht
und ist unter news.dkp in der Rubrik DKP/Parteivorstand abrufbar