Politische Lebensläufe aus Ost und West

Kommunist werden

Brigitte Dornheim, Uwe Dzewas

„Wer mit 20 kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer mit 30 immer noch Kommunist ist, hat keinen Verstand!“ Dieser vielzitierte antikommunistische Ausspruch, der fälschlicherweise dem britischen Ex-Premier Churchill zugeschrieben wird, soll sozialistisch-kommunistische Haltungen als schwärmerisch-naiv und dem wirklichen Leben entrückt denunzieren. Herausgeberin Brigitte Dornheim hat in dem Buch „Wie ich wurde, was ich bin“ Lebensläufe von Kommunistinnen und Kommunisten aus Ost und West gesammelt, die mit Herz und Verstand von ihrem persönlichen Weg zum Kommunismus erzählen. UZ dokumentiert zwei gekürzte Auszüge.

Brigitte Dornheim:

Als ich 1957 eingeschult wurde, war dies schon Vergangenheit. Ich ging sehr gerne zur Schule und war auch stolzer Jungpionier. Meine Lehrer waren wie mein Vater bestrebt, uns mit ihrer qualifizierten Bildungs- und Erziehungsarbeit im Sinne der Ideale des Humanismus den Weg ins Leben zu ebenen. Auch für meine Liebe zur Literatur und zur Filmkunst, insbesondere zu der aus der DDR und aus der Sowjetunion, legte wohl mein Vater die Grundlage.

Diese sozialistische Kunst war ein Meilenstein auf dem Weg zu meiner Weltanschauung, denn bei mir ist die emotionale Hinwendung zur Idee des Sozialismus immer intensiver als die rationale. Schon als Kind waren meine Heldinnen zum Beispiel die Sklavenmädchen Hatifa und Tamar aus den Robinson-Kinderbüchern, so wie später Marianne, die Tochter Erich Weinerts, aus ihrem Buch „Mädchenjahre“. (…)

Im Mai 1973 erhielt ich mein Lehrerdiplom und wenige Wochen später stand ich an einer POS im Neubauviertel von Saalfeld als Klassenleiterin und Fachlehrerin vor meinen ersten Schülern. (…)

Wenn ich heute gefragt werde, ob in den Köpfen und Herzen meiner Schüler Spuren von mir, von meiner Bildungs- und Erziehungsarbeit, denn das war für uns DDR-Pädagogen eine selbstverständliche Einheit, geblieben sind, dann antworte ich meistens, dass ich das nicht wisse, weil man ja weder ins Herz noch ins Hirn eines Menschen schauen kann. Bei Gesprächen mit ehemaligen Schülern bzw. deren Eltern erfahre ich immer wieder eine starke Wertschätzung des DDR-Bildungssystems, welche das Resultat eines direkten Vergleichs mit dem gegenwärtigen kapitalistischen Schulsystem ist. (…)

Nicht nur viele meiner Schüler, sondern auch ich mussten nach der sogenannten Wende feststellen, dass einem solche Eigenschaften in der neuen Gesellschaft eher zum Nachteil als zum Vorteil gereichen. Ich „durfte“ fast alles „genießen“, was der Kapitalismus zu bieten hatte – Arbeitslosigkeit, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Billigjobs und, und, und. Nun spürte ich den Kapitalismus, den ich als Lehrerin meinen Schülern mit den Augen von Marx, Engels und Lenin erläutert hatte, hautnah. Ich musste erfahren, dass eine Frau von Mitte 40 mit akademischer Ausbildung in dieser neuen marktorientierten Gesellschaft nicht gebraucht wurde. In deprimierenden Augenblicken dachte ich oft mit Wehmut daran, dass ich einst meine Schüler gelehrt hatte, das Recht auf Arbeit sei genau wie das Recht auf kostenlose Bildung und Gesundheitsfürsorge ein Menschenrecht und deshalb in der DDR-Verfassung verankert. Dies alles bestärkte mich darin, als Kommunistin meinen ganz persönlichen Beitrag im politischen Kampf zu leisten und dies vor allem durch mein antifaschistisches Engagement, also durch das Erinnern und Mahnen.

Uwe Dzewas:

In Lüdenscheid wurde 1968 der „Club Aktuell“ gegründet, zu dessen Gründungsmitgliedern auch ich zählte. Alles junge Leute – Lehrlinge, Schüler, Studenten. Dort wurde über Schriften von Marcuse und Mao, Bakunin, Marx, Engels und Lenin diskutiert – und natürlich auch Musik gehört und gefeiert, denn wir hatten einen eigenen Raum angemietet. Konkrete Antikriegsaktionen vor Ort waren unter anderem das Hissen der Vietcong-Fahne vor dem Lüdenscheider Rathaus und Widerstand gegen den kriegsverherrlichenden Film „The Green Berets“. Wir versiegelten die Schlösser der Kinosäle mit Klebstoff und skandierten „USA – SA – SS“. Dabei kam es zu Verhaftungen.

Gegen die erstarkende NPD machten wir mit der Plakataufschrift „Ein Adolf war schon zu viel!“ mobil (der damalige NPD-Bundesvorsitzende hieß Adolf von Thadden). Am 1. Mai 1968 machten wir eine Umhängeschild-Aktion gegen die geplanten Notstandsgesetze vor der Lüdenscheider Schützenhalle, in der die übliche langweilige DGB-Veranstaltung stattfand. Der Lüdenscheider DGB-Vorsitzende verklagte uns nach unserer Entfernung durch DGB-Ordner und Polizisten wegen „Land- und Hausfriedensbruch“. Aufgrund einer vom späteren Bundeskanzler Willy Brandt angeordneten Generalamnestie für vergleichbare „Delikte“ kam es nicht zur Anklageerhebung. Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 kam es zu Tumulten vor dem Springer-Hochhaus in Essen. Es wurden Reifen angezündet und die Polizei ging brutal gegen die Protestierer vor. (…)

„Wenn du stark genug bist, Junge, geh‘ zum Militär!“, lautete die Empfehlung des APO-Politbarden Franz Josef Degenhardt an uns junge Wehrpflichtige. Mir leuchtete das ein. Ich war, gerade siebzehnjährig, in die 1968 neu konstituierte DKP aufgenommen worden. Im Oktober 1970 trat ich meinen Wehrdienst bei den „Schweren Pionieren“ in einer Mindener Kaserne an. Mein Ziel war dabei, die Kameraden mit antimilitaristischen Positionen vertraut zu machen und sie zu ermutigen, sich nicht als „Kanonenfutter für Kriegsprofiteure“ missbrauchen zu lassen, wie das Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts millionenfach geschehen ist. (…)

In Uniform nahm ich 1971 am DKP-Parteitag in Düsseldorf teil, wo mir auch ein Mitgliedsbuch überreicht wurde. Am Rande des Parteitagsgeländes wurde ich von Feldjägern darauf angesprochen, was ich denn in Uniform dort zu suchen habe. Ich druckste herum, dass ich meine Eltern abholen wolle. Meine Personalien wurden festgestellt und es gab darauf eine Vorladung zu einem Verhör durch den Sicherheitsbeauftragten des Bataillons. (…) Wegen des Verstoßes gegen das Uniform-Verbot erhielt ich eine vierzehntägige Arreststrafe.

In dieser Zeit bauten wir eine ADS-Gruppe (Arbeitskreis Demokratischer Soldaten) auf und wurden bei unseren Aktivitäten („Agitation für den Frieden“) von Mindener Genossinnen und Genossen außerhalb der Kaserne unterstützt.

Brigitte Dornheim (Hrsg.)
Wie ich wurde, was ich bin
epubli, 244 Seiten, 13,99 Euro

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"Kommunist werden", UZ vom 25. August 2023



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