Streik am Kreiskrankenhaus: Das hat es noch nicht gegeben. Aus allen Abteilungen beteiligen sich Kolleginnen und Kollegen, der Transportdienst fährt keine Betten, die OP-Säle sind bis auf einen geschlossen. Die Mitarbeiter fragen sich, ob Pflegekräfte ihre Patienten vernachlässigen, wenn sie streiken. Die Klinikleitung hat ihren Unmut über den Streik durchblicken lassen. Als klar war, dass die Wut über das fehlende Angebot der Arbeitgeber genug Kollegen vom Kreiskrankenhaus Saarburg in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes im vergangenen Herbst dazu bringen würde, am Warnstreik teilzunehmen, „ging das Geschrei los“, sagt Simon Becker. „Das war sehr ulkig.“ Becker ist einer von zwei Ärzten, die streiken – die anderen sind nicht bei ver.di, sondern meist im Marburger Bund, von der Tarifrunde sind sie nicht direkt betroffen. Becker hat seinem Chefarzt gesagt, er sehe es als seine gewerkschaftliche Pflicht an, trotzdem zu streiken. Der reagiert ganz väterlich: „Ach, der Herr Becker. Machen Sie mal.“ Becker ist als linker Gewerkschafter bekannt. Nun ist er von der DKP als Direktkandidat für den Wahlkreis Trier aufgestellt worden, der neben der Stadt Trier auch den Kreis Trier-Saarburg umfasst.
Stand oder Klasse?
Wenn Klinikbelegschaften für mehr Personal oder mehr Gehalt kämpfen, können sie nur selten damit rechnen, dass die Ärzte sie unterstützen. Die meisten der Ärzte, die in Krankenhäusern arbeiten, sind Mitglieder des Marburger Bundes, der Ärztevereinigung, die für ihre Mitglieder eigene Tarifverträge aushandelt, getrennt von den anderen Berufsgruppen und von den DGB-Gewerkschaften. Sie sehen sich als besonderen Berufsstand, nicht als eine Gruppe von Beschäftigten unter anderen. Am Kreiskrankenhaus Saarburg schauen zumindest einige Assistenzärzte in der Pause bei den Streikenden vorbei. Die höheren Ränge ab dem Oberarzt ignorieren überwiegend den Streik – „als gäbe es das gar nicht, als wäre das einfach so ein Spielchen, das die Pflegekräfte da treiben“, erzählt Becker.
Ärztliches Standesdenken äußert sich auch in der alltäglichen Arbeit – wenn Ärzte den Pflegekräften überheblich begegnen, ihnen Aufgaben zuweisen, die nicht unbedingt zu ihrer Arbeit gehören, für die schon zu wenig Zeit ist. „Manchmal bin ich dann irritiert von ärztlichen Kollegen“, sagt Becker. Ihm geht dieser Dünkel schon deshalb ab, weil seine Eltern beide Pflegekräfte sind. Er war der erste in der Familie, der studiert hat, vorher hatte er selbst eine Pflegeausbildung begonnen. Von sich selbst sagt er, er könne zwar gut mit Patienten reden und ihnen erklären, was sie wissen wollen. „Aber ich habe manchmal nicht die Möglichkeit, mich so gewählt und akademisch auszudrücken wie die Kollegen.“ Deren Eltern sind zu einem guten Teil Akademiker, oft selbst Ärzte. Becker sagt: „Es gibt eben doch Klassenunterschiede.“
Alte Ehrfurcht
Becker wurde in dem Krankenhaus geboren, in dem er nun seit dreieinhalb Jahren arbeitet. Für sein Studium musste er nach Österreich gehen – für das Medizinstudium wäre er in Deutschland wegen der NC-Beschränkungen nicht zugelassen worden. Danach arbeitete er in Hamburg in einer psychiatrischen Klinik. Diese Arbeit wird unter Ärzten gerne belächelt, Becker dagegen spricht von der besonderen Belastung, der ein Arzt in der Psychiatrie ausgesetzt ist: Fast nie ist ein Bett frei, wenn in der Nachtschicht Patienten kommen, konnte er sie nicht aufnehmen – „Man muss die Leute abwimmeln oder wegwarten, ein Gespräch führen, bis die Person einen Termin eine Woche später macht.“ In jeder Nacht bringt die Polizei Menschen, die sich selbst oder andere gefährden, die keine Straftat begangen haben, nicht in ein normales Krankenhaus passen, die aber auch nicht alleine zu Hause bleiben sollten. Darin besteht für Becker der besondere Stress: „In der Psychiatrie verwaltet man häufig Menschen.“ Er wollte zurück zur somatischen Medizin und in die Region, aus der er stammt.
Vor dem Studium war er in Trier kurz bei der Grünen Jugend, die Aktivität in einem antifaschistischen Bündnis überzeugte ihn, sich in der SDAJ zu organisieren. Als er wieder in die Trierer Gegend zog, wurde er wieder aktiv.
Damals gab es am Kreiskrankenhaus Saarburg 20 ver.di-Mitglieder – von insgesamt 650 Mitarbeitern, auch für ein Krankenhaus ein niedriger Organisationsgrad. „Das ist eine ländlich geprägte Gegend, auf den Dörfern hier haben die Leute eine Ehrfurcht vor dem lieben Gott – viele wussten gar nicht, dass eine Gewerkschaft ihre Tarifverträge aushandelt“, erklärt Becker. Er beteiligte sich daran, mit Kollegen aus dem Betriebsrat und ver.di-Hauptamtlichen Mitglieder zu werben und eine ver.di-Betriebsgruppe aufzubauen.
Einheimischer Exot
Ein Arzt, der mit Pflegerinnen und Transportmitarbeitern streikt. Ein Kommunist an einem ländlichen Krankenhaus. Ist er ein Exot? „Irgendwie schon – das ist hier nicht die progressivste Gegend der Welt“, sagt Becker. Aber wenn er spricht, hört man, dass er aus dieser Gegend kommt, in der Betriebsgruppe ist eine Pflegerin, mit der er schon als Schüler befreundet war. „Und ich bin es von zu Hause gewöhnt, die Probleme der Pflege wahrzunehmen, die einfach krasser sind als die Probleme der Ärzteschaft.“
Um ihn als Direktkandidaten aufstellen zu können, muss die DKP 200 Unterstützungsunterschriften aus dem Wahlkreis vorlegen. Becker hat lange überlegt, ob er an seinem Arbeitsplatz Unterschriften sammeln will. Werden diejenigen, mit denen er jeden Tag zusammenarbeitet, ihm antikommunistische Sprüche an den Kopf werfen? Werden Vorgesetzte ihm verbieten wollen, in seiner Pause über die Unterschriften zu sprechen? Ganz unbekannt ist die DKP im Krankenhaus nicht: Die Mitglieder verteilen drei oder vier Mal im Jahr die „Rote Spritze“, ihre Kleinzeitung. Vor der Pandemie kamen zum monatlichen „Roten Feierabend“ im linken Infoladen in Trier auch Kollegen vom Saarburger Krankenhaus. Beim Warnstreik hat die DKP geholfen, ihren Pavillon und ihre Musikanlage zur Verfügung gestellt – Becker erklärt: „Als Kommunisten haben wir das als unsere Pflicht angesehen.“ Dann – der Landtagswahlkampf begann gerade – kamen die Kandidaten mit dem Mundschutz ihrer Parteien: „Das war witzig, wer da plötzlich alles Gewerkschafter sein wollte.“ Für den CDU-Mann war das Foto mit den Streikenden ein Werkzeug im Wahlkampf. Hätte die DKP sich auf ähnliche Weise vorgedrängt, „wäre die Hölle los gewesen“, ist Becker sich sicher.
Überrascht?
Es ist eine Hürde, zu fragen, ob jemand unterschreibt, damit die DKP kandidieren kann. „Aber ich mache keinen Hehl daraus, dass ich Kommunist bin. Andere verstecken ja auch nicht, dass sie in der FDP sind – im ärztlichen Bereich ist das doch logisch.“ Nur ist Becker eben nicht in einer Partei, die in der nächsten Regierung die bestehende Ordnung verwalten will – er ist in einer Partei, die diese Ordnung umwälzen will und offiziell als „extremistisch“ eingestuft wird.
„Wenn ich nach einer Unterschrift frage, steige ich ein mit: ‚Wie du weißt, bin ich seit Jahren in der Kommunistischen Partei‘“ – auch wenn das Gegenüber das vielleicht nicht wusste. Bisher haben 80 Kolleginnen und Kollegen aus dem Krankenhaus ihm das unterschriebene Formular zurückgegeben. Becker sagt: „Ich bin selbst erstaunt darüber, dass so viele die Kandidatur unterstützen.“