RWE und Co. haben den Rückzug aus der Kohleförderung längst beschlossen. Die Gewinne sind eingefahren, nun werden die Kosten vergesellschaftet

Kohle ohne Ende?

Polizisten vor Schaufelradbaggern, Schlagstöcke und Platzwunden – die Bilder aus Lützerath gingen um die Welt. Noch während die Staatsmacht den Weg für RWE frei knüppelte, wurde über einen möglichen Rückzug des Konzerns aus der Braunkohle berichtet. „RWE würde die Kohle sofort für Null weggeben“, zitierte „tages­schau.de“ den Analysten Guido Hoymann. Als dann bekannt wurde, dass RWE im vergangenen Jahr einen operativen Überschuss von 6,3 Milliarden Euro eingefahren hat, davon zwischen 650 und 750 Millionen Euro in seiner Kohle-Kernenergie-Sparte, war die Verwirrung komplett. Warum sollte sich der Konzern von den Kohlekraftwerken trennen, die ihm anscheinend satte Gewinne einbringen?

Um die Strategie von RWE zu verstehen, hilft es, auf die jüngere Vergangenheit des Lausitzer Reviers zu schauen. Im Jahr 2014 beschloss der schwedische Energieriese Vattenfall, sich von seinen ostdeutschen Kraftwerken zu trennen. Der Börsen-Strompreis befand sich im Sinkflug. Es wurde mehr Energie produziert als benötigt wurde und die Prognosen sahen schlecht aus. Eine im Juni 2014 erstellte Studie von „Energy Brainpool“ sagte für das Jahr 2022 über 1.000 Stunden mit negativen Strompreisen voraus. Im Jahr 2013 waren es noch 65 Stunden gewesen, in denen die Betreiber der unflexiblen Kohlekraftwerke für den Absatz ihrer Ware zahlen mussten.

Vattenfall sah das ökonomische Ende der Kohleverstromung auf sich zukommen. Die Gewinnerwartungen der konventionellen Kraftwerke wurden gesenkt, ein Sparprogramm eingeleitet und Abschreibungen in Milliardenhöhe vorgenommen, um den Verkauf vorzubereiten. Im Jahr 2016 war es dann so weit. Der tschechische Konzern EPH übernahm mit dem Tagebau in der Lausitz und den dazu gehörenden Kraftwerken in Ostdeutschland Anlagen im Wert von rund 3,7 Milliarden Euro. Zusätzlich zahlte Vattenfall knapp 1,7 Milliarden Euro an die Tschechen, die sich im Gegenzug zur Rekultivierung der betroffenen Landschaften nach dem Ende des Kohleabbaus verpflichteten. Ein Kaufpreis wurde nach Angaben des „Tagesspiegel“ nicht gezahlt.

Die übernommenen Anlagen wurden im Tochterunternehmen LEAG gebündelt, das dadurch zum zweitgrößten Stromproduzenten Deutschlands aufstieg. Doch die alten Probleme blieben. Auch für EPH, selbst Teil eines komplizierten Firmengeflechts von international tätigen Finanzspekulanten, konnte sich das neu erworbene Geschäft nur dann rentieren, wenn Staatsgelder fließen oder extreme Verwerfungen am Energiemarkt eintreten würden. Genau darauf wurde spekuliert. Vattenfall hatte seine Chips vom Tisch genommen und EPH brachte das Rouletterad in Schwung.

Die Wette sollte sich auszahlen. Denn neben den Produktionsmitteln erwarb EPH auch eine Monopolstellung und damit eine politische Machtposition. In der Lausitz ist die LEAG außerdem der größte Arbeitgeber. Knapp 8.000 Menschen arbeiten direkt in der Energiewirtschaft. In einer Region, die von De-Industrialisierung und massiver Entvölkerung geprägt ist, fiel es dem Konzern leicht, Belegschaft und Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen. Den Beschäftigten wurde suggeriert, dass EPH am langfristigen Erhalt des Kohlebergbaus interessiert sei, wodurch auch die Gewerkschaft integriert werden konnte. Davon zeugt nicht zuletzt der Lobby-Verein „Pro Lausitzer Braunkohle e. V.“, der unter anderem von der LEAG und der Gewerkschaft IG BCE unterstützt wird. Im Zuge der Klimaschutzdebatte gelang es dem Unternehmen mit Unterstützung der Landes- und Kommunalpolitik, ökologischen Fortschritt und Arbeitsplatzsicherheit gegeneinander auszuspielen.

Den ersten großen Erfolg dieser Strategie erzielten die Konzerne mit dem sogenannten „Kohlekompromiss“. Am 3. Juli 2020 beschloss der Bundestag den Kohleausstieg für das Jahr 2038 und versprach den Energiekonzernen Entschädigungen in Höhe von 4,35 Milliarden Euro. LEAG erhält davon 1,75 Milliarden Euro – mehr als die Hälfte des Gesamtwertes, den das Unternehmen bei der Übernahme durch EPH verbuchte. Der staatlich subventionierte „vorgezogene“ Ausstieg etablierte sich als neues Geschäftsmodell, auch im Westen.

Im Jahr 2022 wurde ein zusätzlicher Vertrag zwischen RWE und dem Land NRW ausgehandelt, um den Ausstieg auf 2030 vorzuziehen. Im Gegenzug darf der Konzern bis dahin seine Kohleverstromung intensivieren. Was sich vor wenigen Jahren nicht gelohnt hätte, wird in Zeiten von Wirtschaftskrieg und steigenden Preisen zum lukrativen Deal. Wenn es dem Unternehmen gelingen würde, seine Kohlesparte rechtzeitig loszuwerden oder – wie schon länger geplant – in eine staatliche Stiftung zu überführen, könnten die Aktionäre endgültig aufatmen. Sie würden dadurch nicht nur die unschätzbaren Risiken der Renaturierung und der mit dem Bergbau verbundenen Langzeitschäden sozialisieren, sondern hätten auch mit den sozialen Folgen nichts mehr am Hut. Analysten gehen davon aus, dass die Investitionsbereitschaft in den (Rest-)Konzern steigen würde. Von Kurssprüngen zwischen 15 und 20 Prozent ist die Rede.

Der Kohleausstieg ist längst im Gange, nicht als geplanter Prozess im Sinne des notwendigen Klimaschutzes, sondern als Lehrstück über die Macht der Monopole und ihre Verwobenheit mit dem bürgerlichen Staat. Demonstrationen und politisch festgelegte Ausstiegsdaten verursachen ihn nicht. Sie werden instrumentalisiert und dienen als Vorwand für höhere Entschädigungssummen und eine Vergesellschaftung der Kosten. Die gewaltigen Gewinne der vergangenen Jahrzehnte, die helfen könnten, die Schäden zu beseitigen, eine nachhaltige Energieproduktion aufzubauen und alternative Arbeitsplätze zu schaffen, werden in Sicherheit gebracht.

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"Kohle ohne Ende?", UZ vom 10. Februar 2023



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