In „Die Neue Zeit“, 1. August 1900

Königliches

Franz Mehring

Die kaiserliche Aufforderung an die nach China ausrückenden Truppen, dem Vorbilde der Hunnen und ihres Königs Etzel nachzufolgen, kein Pardon zu geben und keine Gefangenen zu machen, konnte nicht verfehlen, ein gewisses Aufsehen zu machen, was uns keineswegs ein Ausfluss der Monarchenanbetung, sondern ganz recht und billig zu sein scheint. Wem wollte dies kaiserliche Bekenntnis nicht ein großes Interesse erregen, schon um unserer Brüder im Waffenrock willen, die mit einer so zweischneidigen Losung in eine düstere und ungewisse Zukunft gesandt worden sind!

Den Preisschuss dabei tut wohl der kundige Thebaner eines weltpolitischen Blattes, der ungefähr ausführte, es sei ja ganz selbstverständlich, dass die deutschen Truppen in China keine Gefangenen mit sich führen könnten und alles töten müssten, was ihnen vor die Klinge käme; deshalb sei im Ministerrat beschlossen worden, dass in China kein Pardon gegeben werden dürfe, und nichts sei natürlicher, als dass der Kaiser den nach China ausrückenden Truppen diesen Beschluss des Ministerrats mitgeteilt habe. Sodass wir also in der Hunnenrede des Kaisers noch obendrein die erste echte Probe des deutschen Konstitutionalismus zu bewundern hätten. (…)Sonst interessiert uns an der Rede des Kaisers zweierlei. In ihr gipfelt ein psychologischer Prozess, den man an tauben Personen als physischen Prozess beobachten kann (…). Das der fremden Stimme nicht mehr zugängliche Ohr verliert die Kontrolle über die eigene Stimme, die immer unverständlicher wird. So ist der Kaiser durch liebedienerischen Eifer knechtischer Seelen in bildlichem Sinne taub gemacht worden, indem jede Kritik seiner öffentlichen Reden, mochte sie noch so scharf herausgefordert worden sein und sich in noch so berechtigten Grenzen bewegen, durch die Kau-tschukparagraphen der Majestätsbeleidigung niedergeschlagen wurde. Auf diese Weise ist die Sprache des Kaisers für das Volksempfinden immer unverständlicher geworden, so unverständlich, dass die Urheber des Unheils jetzt vor den Folgen ihres eigenen Tuns erschrecken und ängstliche Vorsorge treffen, damit die Reden, die der Kaiser für die Öffentlichkeit bestimmt, der Öffentlichkeit vorenthalten, wenigstens in ihrer ungeschminkten Offenheit vorenthalten werden. Das ist auch eine Nemesis: Die Kritik der Freien wird erschlagen, und um ihr Grab keucht, wie von Furien gepeitscht, die Kritik der Knechte.

Dann aber hat diese Rede des Kaisers das unzweideutige Verdienst, festzustellen, dass zwischen der Gedankenwelt ihres Urhebers und der Gedankenwelt der deutschen Arbeiterklasse keine Versöhnung und nicht einmal eine entfernte Annäherung möglich ist. Es kommt dabei gar nicht darauf an, ob diese Gedankenwelt richtig ist oder jene; der Kaiser unterliegt unserer Zensur so wenig wie wir der seinigen. Das hat jeder Teil mit sich selbst abzumachen. Aber unversöhnlich sind diese Weltanschauungen, sie scheiden sich wie Feuer und Wasser. Wer nach dieser Rede des Kaisers die deutschen Arbeiter noch harangieren (mit einer Rede langweilen, BB) will, sie sollten doch ihre „Utopien“, das heißt ihre Prinzipien, aufgeben und sich hoffnungsvoll dem anvertrauen, was der Kaiser aus seiner Weltanschauung heraus für ihr Wohl erwäge, dem soll fortan als tötender Spiegel entgegen blinken die Rede vom König Etzel und seinen Hunnen.

Das ist vielleicht keine große Erleichterung des proletarischen Klassenkampfes, aber eine kleine ist‘s immerhin, und so rein geschenkt kann sie wohl mitgenommen werden. Denn lästig genug hatten sich jene verdächtigen Ratgeber in den letzten Zeiten gemacht.

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"Königliches", UZ vom 24. Juli 2020



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