Der Druck auf die SPD wird weiter zunehmen. Nicht nur über Artikel, Interviews, Talkshows, Umfragen oder Koalitionsbefürworter in den eigenen Reihen. Angela Merkel erklärte nach einer Sitzung der CDU-Spitze am Montag in Berlin noch einmal, eine Regierung mit wechselnden Mehrheiten lehne sie ab. CDU und CSU wollen in den kommenden Wochen mit den Sozialdemokraten nur über eine „stabile Regierung“, also eine feste Koalition, verhandeln. Und die soll es möglichst rasch geben. Für die Sozialdemokraten ist dagegen – offiziell – nach wie vor offen, ob die Sondierungsgespräche, denen der SPD-Parteivorstand am Freitag der vorigen Woche zustimmte, in einer Koalition münden oder in einer „lockeren“ Form der Kooperation.
Druck wird vor allem auch von den Unternehmerverbänden ausgeübt. Die fordern schon seit Wochen nicht nur eine zügige Regierungsbildung, sondern auch „eine trag- und entscheidungsfähige Regierung“. So kürzlich Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes Deutsches Handwerk. Die Unternehmen bräuchten für Investitionsentscheidungen „Planungssicherheit“. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, erklärte: „Wir können uns keine lange Hängepartie leisten.“ Aus dem BDA hörte man Ähnliches. Der Chef des Digital-Branchenverbandes Bitkom, Achim Berg, klagte in der „Süddeutschen Zeitung“: „Dass die Parteien keine Regierung hinbekommen in einer so wichtigen Zeit, das ist ja fast Sabotage am Wirtschaftsstandort Deutschland.“
Bereits Ende November hatte BDI-Präsident Kempf Union und SPD zudem eindringlich zu einem Politikwechsel aufgerufen und klar gemacht, was die Kapitalvertreter von einer neuen Regierung erwarten – und da passen die aktuellen Forderungen der SPD zu Arbeit, Rente, Gesundheit, zu mehr Sozialausgaben usw. so gar nicht: „Ich appelliere an eine mögliche große Koalition, unbedingt mehr Wirtschaft zu wagen als in der vergangenen Legislaturperiode.“ Kempf forderte von der nächsten Regierung unter anderem, die Belastungen der Unternehmen zu reduzieren. „Es muss der künftigen Bundesregierung darum gehen, Wachstum und Innovation zu befördern, anstatt sich wie bisher auf die Vermeidung von Steuerschlupflöchern und sozialpolitische Umverteilung zu konzentrieren.“
Wasser auf die Mühlen der Lobbyisten ist der allmonatliche Geschäftsklimaindex. Die Stimmung in den deutschen Unternehmen ist im Dezember im Vergleich zum Vormonat leicht gefallen. Der von Münchener Ifo-Institut ermittelte Index fiel im Dezember um 0,4 auf 117,2 Punkte zurück. Damit wurde zwar nicht, wie im November, ein neues Rekordniveau markiert, die Stimmung in der deutschen Wirtschaft bleibt aber ausgezeichnet.
Erstmals in den Daten enthalten war das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen im politischen Berlin. „Zur Weihnachtszeit ist die Stimmung in den deutschen Chefetagen ausgezeichnet, aber nicht mehr ganz so euphorisch wie im Vormonat“, kommentierte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Und weiter wird behauptet, dass „der Rückgang der Geschäftserwartungen zeige, dass die Unternehmen Grenzen für die Aufschwungstärke sehen. Angesichts der hohen politischen Unsicherheit und der finanziellen Instabilität bleibt das starke Vertrauen in den Konjunkturzyklus (noch) erstaunlich.“
Noch rumort es an der SPD-Basis. Aus dem größten SPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen kam am vorigen Wochenende die Warnung an die eigene Parteiführung, sich nicht zu früh auf ein neues Bündnis mit der Union einzustellen. Michael Groschek, Landesvorsitzender der Partei in NRW, erklärte gegenüber dem „Spiegel“: „Die Hauptverantwortung der SPD liegt darin, wieder so groß und stark zu werden, dass sie für die Menschen im Land eine echte Kanzleralternative zur Union darstellt. Wenn wir uns an die Rolle des Juniorpartners gewöhnen, enden wir als Wackeldackel.“ Er forderte vor dem Sonderparteitag, der am 14. Januar 2018 stattfinden soll, inhaltliche Vorabzusagen von der Union. „Wir ziehen keine roten Linien, aber ohne konkrete Verbesserungen im Bereich der Arbeitsmarkt-, Renten- und Gesundheitspolitik ist es unvorstellbar, dass ein Parteitag grünes Licht für weitere Gespräche gibt.“
Und auch die entschiedenen Gegner einer erneuten Großen Koalition in der eigenen Partei, vor allem die Jusos, bleiben aktiv. Am vorigen Wochenende wurde – kurz nach dem Beschluss der Parteispitze zur Aufnahme von Sondierungsgesprächen – auf einem außerordentlichen Landesparteitag der Thüringer SPD in Erfurt von der Mehrheit der 200 Delegierten ein von den Jusos eingebrachter Antrag gegen eine Große Koalition im Bund angenommen. Im Antrag hieß es, eine erneute Regierung mit der Union würde einen weiteren Glaubwürdigkeitsverlust für die SPD bedeuten. In vielen Fragen gäbe es kaum Gemeinsamkeiten.
Der Landesvorsitzende der Jusos, Oleg Shevchenko, erklärte auf dem Sonderparteitag des kleinsten SPD-Landesverbandes, es dürfe nicht zugelassen werden, „dass die SPD mickrig geschrumpft wird“. SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel und der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, warben in Erfurt vergeblich für ergebnisoffene Sondierungsgespräche. Schneider forderte die Jusos auf, ihren Antrag zurückzuziehen. Es sei „überhaupt nicht akzeptabel“, bevor man Gespräche über Inhalte geführt habe, zu sagen, das gehe nicht.
Soll aber nicht zum Schluss sowieso die SPD-Basis entscheiden, die künftig eh mehr in Entscheidungsfindungen einbezogen werden soll? Warum dann aber jetzt die Aufregung über den Thüringer Beschluss?