Preissteigerungen bringen Familien in Not und machen Reiche reicher

Knietief im Dispo

Lisa lebt mit ihrem Mann, Jan, und Tochter Emma etwa 20 Kilometer von Düsseldorf entfernt. Sie haben dort ein Reihenhaus gefunden, das sie sich leisten können. Leider gibt es in dem Ort keine Kita. Deshalb ist Jan nach wie vor zu Hause, kümmert sich um Emma und renoviert das Haus. Als die Pandemie begann, waren sie über diese Lösung froh.

Inzwischen ist Lisa erschöpft. Sie arbeitet als OP-Schwester im Schichtdienst am Uniklinikum Düsseldorf. Sie muss mit dem Auto zur Arbeit fahren, weil der Öffentliche Nahverkehr zu den Zeiten, wo sie ihn braucht, noch schläft. Nach 18 Monaten Arbeit unter Pandemiebedingungen hat sie im Herbst zum ersten Mal gestreikt. Zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen ist sie für mehr Gehalt und für die Anerkennung ihrer Leistungen auf die Straße gegangen. Sie ist Mitglied der Gewerkschaft geworden, hat viele neue Menschen kennengelernt und Mut gefasst, sich für ihre Interessen einzusetzen, die Bedingungen nicht einfach hinzunehmen.

Über die erkämpfte Einmalzahlung, die sie im März bekommen soll, hat sie sich gefreut. Die Lohnerhöhung hätte höher sein dürfen, vor allem hätte sie sie früher und nicht erst Ende kommenden Jahres gebraucht. Anfang Dezember sind die ersten Abrechnungen für Gas und Strom eingetroffen. Die Familie muss viel Geld nachzahlen. Im Oktober 2021 kostet Energie für einen Drei-Personen-Musterhaushalt 1.178 Euro mehr als im Vorjahr. Das ist eine durchschnittliche Steigerung von 35 Prozent im Vergleich zum zurückliegenden Jahr.

Durch die Nachzahlungen ist das Konto kurz vor dem Dispo. Doch damit nicht genug. Der Gasversorger kündigt eine Preiserhöhung um 21 Prozent an. Das macht für den kleinen Haushalt 310 Euro mehr. Der Stromanbieter will 7 Prozent mehr. Das sind nochmals 91 Euro weniger im Portemonnaie. Auch die Benzinpreise sollen weiter steigen, laut Prognosen um 13 Prozent. Das wären allein fürs Pendeln von Lisa 108 Euro zusätzlich.

Jan kauft für die Familie ein. In den letzten Monaten wurde der Einkauf immer teurer, der Wagen aber nicht voller. Gerade die Lebensmittelpreise sind gestiegen, vor allem für Gemüse und Getreide. Bei der vom Statistischen Bundesamt errechneten Steigerung von 5 Prozent waren das im vergangenen Jahr 270 Euro, die Jan zusätzlich in den Läden gelassen hat. Bleibt die Preissteigerung stabil, wird er in diesem Jahr weitere 290 Euro mehr bezahlt haben.

Die Einmalzahlung von 1.300 Euro, die Lisa im März bekommen soll, ist längst ausgegeben. Die Lohnerhöhung ab Dezember kommenden Jahres kann die Verluste, die die kleine Familie bis dahin macht, nicht ausgleichen. Lisa, Jan und Emma müssen den Gürtel enger schnallen, wenn sie ihr Häuschen behalten wollen. Andere müssen das nicht. Im Gegenteil. Dieter Schwarz, Eigentümer von Lidl und Kaufland, hat sein Vermögen von 19,8 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 auf 36,9 Milliarden gesteigert.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Knietief im Dispo", UZ vom 17. Dezember 2021



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Tasse.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit