Bodo Ramelow steht nicht nur exemplarisch für die totale Demontage der Partei „Die Linke“. Er ist der Typ bürgerlicher Linker, der mit sozialpolitischem Pulsschlag von den „kleinen Leuten“ spricht, um sie den großen Herren in Berlin oder Washington zum Fraß für ihre Kriege vorzuwerfen. Die Reihe der Beispiele ist lang, ein weiteres folgte kürzlich im Kurznachrichtendienst X.
Mit Sorge schrieb der thüringische Ministerpräsident: „256.000 junge Männer aus der Ukraine, im wehrfähigen Alter, leben derzeit in Deutschland. Wie sollen wir uns als Behörden dazu verhalten? Ich bin weiter für die Lieferung von Waffen, aber was ist mit Wehrpflicht und Soldaten?“ Die Empörung über Ramelows Blödsinn kommt zu kurz, wenn sie sich auf Ramelows Blödsinn beschränkt. In Rechnung muss auch gestellt werden, dass der routinierte Ministerpräsident so was vor dem Hintergrund des in Washington stattfindenden NATO-Gipfeltreffens vom 9. bis zum 11. Juli geäußert hat. Gerade das macht es nicht zur belanglosen Nebensache in den sozialen Medien. Es macht einen psychologischen und politischen Gesichtspunkt von Ramelow sichtbar, der zur Empörung berechtigt. Ohne Einordnung ins Ganze bleibt Empörung aber zahnlos. Marxisten wissen das.
Während auf dem NATO-Gipfel die herrschenden Klassen auf der einen Seite weitere 40 Milliarden Euro Militärhilfe und die Lieferung von F-16-Kampfjets an die Ukraine durchwinken; auf der anderen Seite die Stationierung von US-Raketen in Deutschland mit einer Reichweite bis nach Russland und den Aufbau eines NATO-Kommandos in Wiesbaden für den ukrainischen Präsidenten Selenski – im Amt durch Kriegsrecht – beschließen, sinniert der Regierungssozialist in Erfurt, was auch noch alles zu tun wäre. Die Wehrfähigen ausliefern, weiter Waffen liefern, die Wehrpflicht ins Feld führen, mit den dazugehörigen Soldaten. Das ist in der Tat ein politisches Armutszeugnis. Darin liegt aber der kalkulierte Skandal. Wer nicht in Washington mitmischen kann, sorgt daheim im eigenen Land auf seine menschelnde Weise für Gehorsam und Debatte, die als demokratisches Ausfechten von Argumenten ausgegeben wird.
Die Sache liegt aber anders. Es ist eine Tatsache, dass die NATO-Beschlüsse den Krieg in der Ukraine und die Verheizung der ukrainischen und russischen Arbeiterklasse im Interesse westlicher Kriegstreiber und des Kapitals verlängern und verschärfen. Das weiß Ramelow. Er ist aber weder Internationalist noch Anwalt der hiesigen arbeitenden Klasse, um daraus irgendwelche klassenkämpferischen Schlussfolgerungen zu ziehen. Er ist wie jene, die in Washington zusammenkamen, nur eben etwas kleiner, deshalb eifriger und vor allem der uneingeladene Zaungast, der auch mal was im weltpolitischen Schachspiel geführter Kriege sagen möchte. Sowohl für jene Agenten des internationalen Kapitals wie Ramelow in Erfurt gilt: Frieden will von denen keiner. Und Brot – das wird mit blutigen Schützengräben bepreist. Ob 256.000 junge Männer was besseres vorhaben, als sich in die blutigen Hände der mörderischen Gewalt Selenskis, dem Asow-Bataillon oder dem ukrainischen Geheimdienst SBU zu begeben, das kommt Ramelow nicht in den Sinn. Er verkauft seinen Hinweis wie die anderen als europäische Solidarität. Solidarität mit wem, für wen? Für die Bourgeoisie hier wie dort. So soll auch die Wehrpflicht ein solidarischer Beitrag für den Krieg sein.
Ebenso ist es eine Tatsache, dass die NATO-Beschlüsse die Kriegsgefahr in Deutschland heftig erhöhen. Das gehört aber zur Logik der „Kriegstüchtigkeit“ bis 2029, wie es sich Boris Pistorius (SPD) wünscht. Dagegen muss man kämpfen. Das ist besorgniserregend. Das bedroht die arbeitende Klasse. Davon hat sie nichts, als ihre Körper und das Leben ihrer Kinder einer weiteren kriegerischen Bedrohung auszusetzen. Dazu sagt Ramelow natürlich nichts. Warum auch – mit gezielten Äußerungen wie jenen lässt der seit 2014 regierende Spitzenpolitiker der PdL einmal mehr seine Maske fallen und zeigt, was die viel besungene „Zeitenwende“ der Bürgerlichen auch bedeutet: Kniefall aller vor der Staatsräson. Das hat nichts mit Linkssein zu tun – mit Sozialismus als historische Alternative zu Krieg und Kapitalismus sowieso nicht. Das ist politisches Lakaientum und widerliche Kriecherei vor den Herrschenden. Ramelow zeigt seit zehn Jahren, wie das geht und wie man das lernt.
Es gab Geschlagene und es gibt Geschlagene, die sich vom edelmütigen Lächeln falscher Anführer mit hochgekrempelten Hemdärmeln oder Sakko und Weste immer noch verführen lassen. Das ist das eine. Die Kehrseite aber ist, dass verratene Hoffnung schwerer wiegt als unerfüllte Hoffnung. Sie höhlt den Glauben an die Idee an eine bessere Welt aus und hinterlässt bei nicht wenigen Werktätigen eine Brandspur der Ohnmacht. Sich auf die sozialen Hoffnungen der werktätigen Massen zu stützen, mit diesen Hoffnungen zu spielen und sich von ihnen zu nähren, sie nach und nach mit dem stummen Zwang des Kapitals zu plätten und das mit „pragmatischer Politik“ zu labeln, weil man im Gegenzug die ein oder anderen sozialpolitischen Almosen vom Kapitalismus erhält, das zerstört Hoffnung. Wenn Ramelow von Verantwortung spricht, meint er diese politische Funktion von Regierungssozialisten, die er ausfüllt.