§ 219a
Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft
(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise
1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder
2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung
anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekannt gibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Zwei Abtreibungen zum Preis von einer“ oder „ Frühjahrsangebot – 10 Prozent Rabatt pro Abtreibung“! Geschmacklose und schrille Werbung für Abtreibung, ist so etwas vorstellbar?
Anscheinend ja. In der Debatte um die Aufhebung des Strafgesetzbuch-Paragraphen 219 a, der Werbung und damit verbundene Informationen zur Schwangerschaftsunterbrechung unter Strafe stellt, wird ein beängstigendes Szenario entwickelt. „Wer den § 219 a StGB ersatzlos streichen möchte, muss in Zukunft mit offener Werbung im Internet und Fernsehen, in Zeitschriften und sonst wo für Abtreibungen rechnen“ befürchtet die rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion Winckelmeier-Becker, und auch die FDP mag den Paragraphen nicht in Gänze streichen, damit „reißerischer Werbung“ kein Vorschub geleistet wird. Befürchtungen, die jeder Grundlage entbehren, ist doch durch die Berufsordnung für Ärztinnen und Ärzte jede „anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung“ für ärztliche Leistungen per se berufswidrig.
Ins Rollen gekommen ist die lange überfällige Auseinandersetzung um den § 219 a durch den Fall der Ärztin Kristina Hänel, die Ende 2017 zu einer Geldstrafe von 6 000 Euro verurteilt wurde, da sie auf ihrer Webseite Schwangerschaftsabbrüche als Teil ihres Leistungsspektrums angab. Weil die Ärztin für den Eingriff ein Honorar erhält, erfülle sie den Tatbestand eines Vermögensvorteils durch Werbung. Und: „Der Gesetzgeber möchte nicht, dass über den Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert wird, als sei es eine normale Sache“, so die Vorsitzende Richterin. Angezeigt wurde Kristina Hänel von fundamentalistischen AbtreibungsgegnerInnen, deren Hassmails die Ärztin schon seit Jahren belästigen und die zunehmend Anzeigen gegen Ärztinnen und Ärzte erstatten, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.
Die Welle der Solidarität mit Kristina Hänel war groß. Eine Online-Petition von ihr, in der sie die Streichung des § 219 a und das Recht auf Information über Schwangerschaftsunterbrechung auch im Internet forderte, wurde von mehr als 155 000 Menschen unterschrieben. Die Linkspartei verlieh Kristina Hänel Anfang März den Clara-Zetkin-Ehrenpreis für herausragende Leistungen von Frauen in Politik und Gesellschaft.
Bereits vor dem Prozess gegen Hänel legte die Linkspartei einen Gesetzentwurf zur Abschaffung des Paragraphen vor. Auch Grüne und SPD plädieren für die Aufhebung des Werbeverbots, die FDP für eine Abschwächung. Zusammen mit der FDP wäre eine Mehrheit im Bundestag gegen den § 119 a möglich gewesen. – Wäre gewesen – denn um den Start der Großen Koalition nicht zu belasten, hat die SPD ihren Gesetzentwurf zurückgezogen, drohte doch die CDU sogar mit einer Verfassungsklage vor dem Bundesverfassungsgericht im Falle einer Aufhebung des Werbeverbots. „Ein Kniefall der SPD vor der Union“ nannte es die Grünen Abgeordnete Ulle Schauws. Auf jeden Fall ist es ein Besorgnis erregender Ausblick auf das, was in der GroKo und besonders mit Gesundheitsminister Jens Spahn auf die Frauen zukommt. So attackierte dieser jüngst Frauenrechtlerinnen, denen er vorwarf, eher für Tiere als für menschliches Leben zu kämpfen.
Die Geschichte der Schwangerschaftsunterbrechung ist immer auch eine Geschichte der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse. In einer Zeit der zunehmenden Rechtsentwicklung bedarf es großer Anstrengung erkämpfte Frauenrechte auch nur zu erhalten. Mit der AfD ist eine Partei in den Bundestag gezogen, die ein absolut rückständiges und reaktionäres Frauenbild propagiert, dazu gehört die Forderung nach einem totalen Abtreibungsverbot und Bestrafung der Frauen sowie der operierenden Ärztinnen und Ärzte.
So zogen am Samstag in Münster wieder christliche Fundamentalisten gemeinsam mit der AfD und sonstigen Reaktionären beim sogenannten „1000-Kreuze-Marsch“ durch die Stadt, um gegen Abtreibung zu demonstrieren. Der Marsch wird von dem christlich-fundamentalistischen Verein „EuroProLife“ organisiert und findet alljährlich und unter zunehmenden Protesten in Münster statt. Nicht zuletzt diesen Protesten ist es zu verdanken, dass am Samstag lediglich etwa 80 Personen ihre weißen Kreuze durch die Straßen trugen. An dem vom „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ organisierten Gegenprotest beteiligten sich trotz eisiger Kälte etwa 1 000 Männer und Frauen. Ihre Forderung, gleich der Forderung aller fortschrittlichen Menschen, ist die nach Abschaffung des § 219 a sowie nach Abschaffung des § 218, welcher immer noch besagt, dass Abtreibung prinzipiell strafbar ist.