Je friedlicher der Protest in Palästina, desto geringer die Aufmerksamkeit

„Kleine Zusammenstöße“

Von Rüdiger Göbel

Nein zur Besatzung, nein zur Entrechtung, gleiche Rechte für alle: Tausende Palästinenser sind am 30. März zum „Tag des Bodens“ in Israel, im Westjordanland und in Gaza auf die Straßen gegangen. Sie protestierten gegen Häuserzerstörungen und den anhaltenden Landraub durch die Besatzungsmacht Israel – friedlich, fantasievoll und damit fernab der westlichen Wahrnehmung. Der Protesttag jährte sich zum 40. Mal. Er erinnert an die gewaltsame Niederschlagung von Massenprotesten im März 1976. Damals hatten Palästinenser mit israelischem Pass gegen die Beschlagnahme von Land in der Westbank opponiert. Sechs Demonstranten waren damals von Polizisten erschossen, mehr als 100 verletzt worden.

Das evangelikale Onlineportal Israelnetz konstatiert, „bis auf kleinere Zusammenstöße blieben die Demonstrationen weitestgehend friedlich“. Zu den „kleineren Zusammenstößen“ zählt: „Im Westjordanland, östlich der Ortschaft Al-Bireh, schnitten palästinensische Studenten ein Loch in einen Maschendrahtzaun, der Teil der israelischen Sicherheitsanlage in dem Gebiet ist. Sie gelangten auf ein Feld und hissten dort die palästinensische Flagge, bevor sie von israelischen Sicherheitskräften zurückgedrängt wurden.“

Der Internetdienst Palestine News Network beschreibt die Realität unter Okkupation wohl treffender. Die israelischen Besatzungstruppen haben demnach tags darauf, am Nachmittag des 1. April, die allwöchentlichen gewaltfreien Proteste in Bilin und in Nabi Saleh gegen die „Apartheidmauer“ und die illegalen israelischen Siedlungen attackiert. Dutzende Demonstranten seien durch den Einsatz von Tränengas und gummiummantelten Stahlgeschossen verletzt worden. Auch in Kafr Kadum und in Bethlehem wurden Demonstrationen, die in Erinnerung an den „Tag des Bodens“ durchgeführt wurden, gewaltsam gestoppt.

Immerhin, in der Geburtsstadt Jesu blieb wenigstens der Marathon mit mehr als 4 300 Sportlern am Morgen unbehelligt. 42,195 Kilometer lang ist die Strecke. Im Westjordanland gibt es die nicht am Stück ohne israelische Checkpoints und Siedlungen, worauf die Organisation „Right to Movement“ mit dem Langstreckenlauf aufmerksam machen will. Die israelische Menschenrechtsorganisation B’tselem hat im vergangenen Jahr 96 Kontrollpunkte der Besatzungstruppen gezählt, illegale Siedlungen und immer neue Siedlungsaußenposten machen das Westjordanland für Palästinenser zum Hindernislauf mit immer größeren No-go-Areas. Wohin man auch blickt, die acht Meter hohe Betonmauer und bewaffnete Israelis im Tarnfleck allerorten, machen rasch klar, wer Herr im Haus ist. Weil keine 42 Kilometer am Stück gelaufen werden können, müssen die Teilnehmer des Palästina-Marathons zweimal durchs Ziel. „Wir wehren uns mit dem Lauf gegen die Besatzung. Das ist unsere Message, das wollen wir der ganzen Welt erzählen“, zitierte das Spiegel-Jugendportal bento die 25-jährige Diala Isid, die zu den Organisatoren des friedlichen Politsports gehört.

Der Marathon-Lauf sei, erklärte die Berliner Zeitung, „ein Protest gegen die Lebensbedingungen der Palästinenser, die auf der Fahrt durch zersiedeltes israelisches und palästinensisches Gebiet unzählige Kontrollposten zu passieren haben. “

Palästinenser protestieren weiter gegen die Besatzungsrealität, auch wenn im Westen kaum noch jemand Notiz davon nimmt. Der Schriftsteller Nir Baram nimmt in seinem gerade erschienenen Buch „Im Land der Verzweiflung. Ein Israeli reist in die besetzten Gebiete“ (Hanser Verlag) eine nüchterne Bestandsaufnahme vor: „Die meisten Israelis und vielleicht auch die meisten Menschen auf der Welt sind inzwischen zu dem Schluss gelangt, dass keine Aussicht mehr auf eine Lösung des Konflikts besteht.“ Einer seiner israelischen Gesprächspartner habe ihm erklärt, „es sei kein Fortschritt zu erzielen, weil die Israelis nicht verzweifelt, sondern gleichgültig seien und die Palästinenser nicht gleichgültig, aber verzweifelt“.

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"„Kleine Zusammenstöße“", UZ vom 8. April 2016



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