Alle finden die Lage in den griechischen Flüchtlingslagern katastrophal – Bundesregierung holt trotzdem nur 50 Kinder heraus

Kleine Rettungsmission

Mit Blick auf die Lage im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos hat Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) von einer „Schande für Europa“ gesprochen. „Dort herrschen unmenschliche Zustände, wie es sie in keinem afrikanischen Flüchtlingslager gibt. Die EU muss diese Zustände sofort beenden und nicht warten, bis es zur Katastrophe kommt. Wenn dort Corona ausbricht, werden Tausende sterben“, warnte Müller am Osterwochenende in der „Passauer Neuen Presse“. Jeder mache sich schuldig, der jetzt nicht handle.

In dem ursprünglich auf 3.000 Flüchtlinge ausgerichteten Camp sind mittlerweile mehr als 20.000 Menschen untergebracht. Es gibt ein Krankenhaus, das schon ohne Corona-Pandemie völlig überlastet ist. An Quarantäne-Maßnahmen ist nicht zu denken, ebenso wenig an die Einhaltung von Abstandsregeln oder einfachen hygienischen Schutz. In den anderen Einrichtungen ist es nicht besser. Insgesamt sollen auf den Inseln Lesbos, Samos, Kos, Leros und Chios rund 40.000 Migranten leben, darunter 14.000 Kinder. Plätze sind eigentlich für nur rund 6.000 Flüchtlinge geschaffen.

Vor Wochen schon hatten sich neben Deutschland die EU-Mitglieder Frankreich, Luxemburg, Portugal, Irland, Finnland, Kroatien, Litauen, Belgien und Bulgarien bereit erklärt, 1.600 besonders gefährdete Kinder und unbegleitete Minderjährige dort herauszuholen, also gut 10 Prozent der dort gestrandeten Minderjährigen. Mit Verweis auf die Corona-Krise ist selbst dies immer wieder verschoben und das EU-Mitglied Griechenland allein gelassen worden. Am Mittwoch nun sollten zwölf Kinder nach Luxemburg geflogen werden, bis Ende der Woche 50 weitere nach Deutschland kommen. Sie sollen in Niedersachsen zunächst in Corona-Quarantäne, danach auf verschiedene Bundesländer verteilt werden. Ursprünglich war von 400 Kindern die Rede, die aufgenommen werden sollten.

Über die Ostertage wurde die Kritik am zögerlichen Agieren und permanenten Zurückrudern der Verantwortlichen immer lauter. Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), nannte das wochenlange Tauziehen um die Aufnahme der Minderjährigen „beschämend“ und forderte: „Wir müssen zeigen, dass Humanität in Europa keine Dekoration ist, sondern zu seinen Grundpfeilern gehört.“ Die ablehnende Haltung der Regierungen in Polen, Tschechien und Ungarn widerspreche „jedem christlichen Denken“ und sei „unsolidarisch“. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sagte, es sei zwar ein richtiger Schritt, dass Deutschland nun 50 Heranwachsende aufnehmen wolle, „aber es ist viel zu wenig“.

Auch die kirchliche Hilfsorganisation Caritas in Niedersachsen kritisierte die Aufnahme der Kinder als unzureichend und warnte vor einer humanitären Katastrophe in den Flüchtlingslagern. „Wir begrüßen die Aufnahme von 50 geflüchteten Kindern aus dem Lager Moria durch das Land Niedersachsen sehr. Angesichts der Tragödie, die sich aktuell vor den Augen der Welt auf Lesbos und Chios abspielt, ist dies jedoch nichts mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein“, sagte der Landessekretär des katholischen Wohlfahrtverbands, Thomas Uhlen, am Karfreitag.
Die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ wies die Behauptung der Bundesregierung zurück, die griechischen Behörden und Hilfsorganisationen hätten nur 50 Kinder zur Evakuierung benennen können. „Allein die Teams von Ärzte ohne Grenzen auf Lesbos haben den griechischen Behörden und internationalen Organisationen seit Monaten wiederholt Listen mit zuletzt 178 akut gefährdeten Kindern und Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen geschickt.“

Auch SPD-Chefin Saskia Esken pocht auf die Aufnahme von mehr Kindern. Weitere Schritte sollten „sehr zügig“ folgen, forderte sie von ihrer eigenen Regierung. Von einer konkreten Übernahme von Verantwortung war nichts zu hören.

Dass es längst nicht nur um Kinder geht, daran erinnerte in den vergangenen Tagen das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR: „Möglichst viele Menschen von den Inseln auf das griechische Festland zu holen ist humanitär und im Interesse der öffentlichen Gesundheit dringend geboten“, sagte der ­UNHCR-Repräsentant in Deutschland, Frank Remus, im Interview mit der „Welt“. Man dürfe nicht vergessen, dass die Lage für alle Menschen in den Aufnahmezentren prekär sei. „Die Situation war schon vor Corona schlimm. Aber diese Menschen gerade in Zeiten einer globalen Pandemie in hoffnungslos überbelegten Zentren allein zu lassen, wäre inhuman.“ Vorschläge, das UNHCR könne die Kontrolle der Flüchtlingszentren in Griechenland übernehmen, wies Remus ausdrücklich zurück. „Wir sind aus gutem Grund in Europa nicht so stark engagiert wie in Armutsregionen“, so der UN-Vertreter. Die EU-Staaten seien wirtschaftlich stark „und sollten die Betreuung der Lager im Wesentlichen selbst hinbekommen“.

Die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ kommentierte das wochenlange Hin und Her um die kleine Rettungsmission auf Lesbos treffend: „Die Bundesregierung hat in der Corona-Krise mittlerweile 200.000 Deutsche aus aller Welt heimgeholt. Sie gestattet die Einreise von 40.000 Erntehelfern. Im Lichte dieser Zahlen kann auf die geplante Einreise von vorerst 50 Kindern aus dem Elend niemand stolz sein. Eher sollte uns die Zahl mit Scham erfüllen.“

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"Kleine Rettungsmission", UZ vom 17. April 2020



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