Die Veränderungen, die von den beiden Landtagswahlen in Bayern und Hessen beim politischen Personal der herrschenden Klasse Deutschlands in Berlin ausgelöst wurden, sind bekannt. Von noch größerer Bedeutung sind die „mid-terms“, die Halbzeitwahlen, für die politische Landschaft der Vereinigten Staaten von Amerika. Die dortige Verfassung gibt zwar dem direkt gewählten Präsidenten, der gleichzeitig Chef der Exekutive ist, weitgehende Vollmachten für das Handeln der Regierung. Aber zwei Jahre nach seiner Wahl und damit in der Mitte seiner Amtszeit wird eine der beiden Kammern komplett neu gewählt: das Repräsentantenhaus, das in seinen Befugnissen am ehesten mit unserem Bundestag vergleichbar ist. Es ist nicht nur maßgeblich an der Gesetzgebung beteiligt, sondern hat auch das alleinige Initiativrecht bei Steuer- und Haushaltsgesetzen und das alleinige Recht, ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten einzuleiten. In dieser 435 Mitglieder starken Vertretung haben seit 2016 die Republikaner eine stabile Mehrheit von 235 Sitzen. Sie stellen auch die knappe Mehrheit im Senat, für den jeder der 50 Bundesstaaten der USA zwei Senatoren wählt – am ehesten mit dem hiesigen Bundesrat vergleichbar. Von ihnen wurden am 6. November bei den mid-terms ein Drittel neu gewählt. In einem Aufwasch wurden auch einige Gouverneure und Parlamente der Bundesstaaten neu zusammengesetzt. Angesichts dessen kann die politische Bedeutung dieser Halbzeitwahlen kaum überschätzt werden.
Nun ist der Leser dieser Zeitung klüger als der Autor dieses Artikels: Der wurde verfasst vor den Wahlen vom 6. November. Die Monate vor diesem Tag waren in den USA gefüllt von der Hoffnung breiter Kreise, die sich in Opposition zum 45. Präsidenten der USA – Donald Trump – sehen, das Wahlergebnis von 2016 gewissermaßen zu korrigieren, dem „wahren“ Amerika wieder Mehrheiten in beiden Kammern des Parlaments zu verschaffen. Es herrschte wie auch in dem Echo dieser Stimmung in vielen linksliberalen Blättern Deutschlands der tief verwurzelte Glaube, die Wahl Trumps sei gewissermaßen eine Panne gewesen, die dazu führen würde, dass sich die vernünftigen Kräfte enger zusammenschließen und die Mehrheiten, die noch Barack Obama ins Amt geführt hatten, wiederherstellen.
Gleichzeitig hatte sich bei der Linken die Überzeugung durchgesetzt, dass es zum Gewinnen von Mehrheiten wichtig sei, sich vom politischen Establishment stärker abzugrenzen, als das mit der damaligen Kandidatin Hillary Clinton möglich gewesen war. Dafür stand und steht der Name Bernie Sanders, dessen Anhängerschaft seit seiner Niederlage gegen Clinton als Kandidat der Demokratischen Partei stetig gewachsen ist. Die Sehnsucht nach grundlegenden Änderungen reicht von der Ost- bis an die Westküste. In der UZ vom 13. Juli dieses Jahres hat der amerikanische Gewerkschafter Kurt Stand über die damals überraschende Nominierung von Alexandria Ocasio-Castillo-Cortez, einem 28-jährigen Mitglied der Demokratischen Sozialisten von Amerika (Democratic Socialists of America – DSA), als Kandidatin der Demokraten in New York berichtet. Dieser Sieg, so Stand damals, „deutet auf eine bessere Zukunft hin“. Er sei ein hoffnungsvolles Zeichen, „dass wir die Gesellschaft zum Besseren wenden können, bevor sie immer schlimmer wird.“.
Diese Hoffnung war nicht auf den Osten beschränkt. In Kalifornien ist das Gesicht einer ähnlichen linken Bewegung Ammar Campa-Najjar, ebenfalls 28 und aufgewachsen im Gazastreifen. Er ist während seiner Kampagne um einen Sitz im Repräsentantenhaus von Online-Magazinen als „der Favorit des Internet“ tituliert worden und hat große Resonanz mit einem ähnlich linkssozialdemokratischen Programm wie Sanders oder Castillo-Cortez erhalten.
Die letzten Umfragen vor den Wahlen haben die Hoffnung, dass es eine wuchtige Gegenbewegung gegen Trump geben würde, deutlich gedämpft. Der Trend steht zwar auf Seiten der nach links gerückten Demokraten: Bei 23 der letzten 26 mid-term-Wahlen hat die Partei des amtierenden Präsidenten immer an Zustimmung verloren. Sicher ist: So entschieden fortschrittlich wie dieses Mal waren die Demokraten seit Jahrzehnten nicht mehr. Ob das aber gereicht hat, um Trump eine Klatsche oder wenigstens einen Dämpfer zu verpassen und ihm das Regieren in Zukunft zu erschweren oder ob der kalte Krieger im Weißen Haus erneut triumphiert: Die Leser der UZ wissen es bereits.