Bei ver.di ist ein neues Selbstbewusstsein zu spüren, sagt der alte und neue ver.di-Vorsitzende Werneke. Da ist was dran. Zumindest in den jüngsten Tarifrunden – sowohl bei der Deutschen Post als auch im öffentlichen Dienst – war sowohl die Beteiligung an den Warnstreiks als auch die Stimmung unter den Streikenden sehr gut. Dem ging eine breite Forderungsdiskussion voraus. Die Abschlüsse blieben allerdings unter den Erwartungen und bedeuten Reallohnverlust.
Alle vier Jahre ruft die Gewerkschaft zum Bundeskongress, wertet aus, zieht Schlussfolgerungen, fasst Beschlüsse. Es war nicht nur die Friedensfrage, die die Delegierten bewegte. Allen voran stand die Frage, wie nach Jahren des Mitgliederverlustes, der schwindenden Tarifbindung und der Angriffe auf die Arbeits- und Lebensbedingungen ver.di wieder in die Offensive kommen kann.
Keine einfache Aufgabe, aber eine, deren sich viele Gewerkschafter durchaus bewusst sind. Allein die über 200 Anträge zum Sachgebiet A („Gute Arbeit und gute Dienstleistungen“) zeugen von Sachverstand und Kampferfahrung und dem Bemühen, sehr korrekt zu formulieren. Es wurden Arbeitszeitverkürzung und die Anhebung des Mindestlohns gefordert und Mittel und Wege gesucht, dem Reallohnverlust ein Ende zu setzen.
Die genaue Formulierung ist dabei nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass die Gewerkschaft geeint ist und das Beschlossene auch umsetzen will. Bindende Beschlüsse waren allerdings selten, obwohl viele Anträge genau dies zum Ziel hatten. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass die Kongressregie sie verhindern wollte.
Eine kämpferische Gewerkschaft, die ihre Forderungen durchsetzen kann und will, wird aber nicht per Mehrheitsbeschluss geschaffen. Gewerkschaft heißt Klassenorganisation. Sie braucht eine starke und kluge Führung, die die gesamte Organisation mitnimmt. Denn der Kampf um Verbesserungen wird nicht nur gegen das Kapital, sondern auch gegen die Bundesregierung geführt.
Nach dem Bundeskongress ist vor dem Bundeskongress. Neben guten Debatten und richtigen Anträgen braucht es vor allem mehr Kolleginnen und Kollegen, die bereit sind, Verantwortung in der Gewerkschaft zu übernehmen. Orhan Akman hat mir seiner Kandidatur für den Bundesvorstand dafür das richtige Zeichen gesetzt.