Im Palästina-Café Wedding vernetzt sich die Nachbarschaft

Klassenkampf im Kiez

Das Palästina-Café Wedding bietet einen niedrigschwelligen Raum für Austausch und Organisation jenseits von Staatsräson und Einschüchterungsversuchen. Im UZ-Gespräch erzählt Mitveranstalter Jamal von den Ursprüngen der Idee, dem Konzept und den Zielen des Cafés.

UZ: Worum geht es beim Palästina-Café?

Jamal: Das Palästina Café ist ein Ort des politischen Austauschs im Wedding. Jeden Sonntag öffnet das Interbüro seine Türen, um den Menschen in Berlin einen Ort für politische Diskussionen und Veranstaltungen zu bieten. Realisiert wird das Palästina-Café vom offenen antifaschistischen und antirassistischen Netzwerk, mit dem wir seit Jahren in Nordberlin aktiv sind. Das Netzwerk ist ein von „Hände weg vom Wedding“ organisiertes Angebot, in dem wir mit Menschen aus dem Kiez gemeinsam aktiv werden und Politik gestalten. „Hände weg vom Wedding“ ist eine sozialistische Stadtteilorganisation im Norden Berlins. Wir sind überzeugt davon, dass die Organisierung gegen die bestehenden Verhältnisse, gegen die Spaltung und Ausbeutung vor der eigenen Haustür und im Betrieb beginnen muss. Das Palästina-Café gliedert sich also in die Praxis des Netzwerkes und „Hände weg vom Wedding“ ein.

UZ: Wie kam es zu der Idee?

Jamal: Im Oktober des vergangenen Jahres prägten Demoverbote, rassistische Polizeigewalt und eine massive Hetze den Umgang mit dem Palästinathema in Berlin. Jeder Protest gegen die Bombardierung Gazas wurde mit brutaler Repression und der beispiellosen Einschränkung von Grundrechten beantwortet. Es entfielen schlichtweg die Orte, an denen Meinungen ausgetauscht, diskursive Kämpfe geführt und die deutsche Staatsräson angegriffen werden konnten. In diesem Kontext erkannten wir den Bedarf an verschiedenen Veranstaltungen zum Thema, vor allem aber an Austausch, Vernetzung und Organisierung. Dafür wollten wir ein Format schaffen, welches sich durch Niedrigschwelligkeit auszeichnet und sich an die Arbeiterinnen und Arbeiter in der Nachbarschaft richtet. Die Cafés sollten also zunächst auf den Entzug jeglicher Räume reagieren, um anschließend ein Feld für politische Agitation und schlussendlich politische Organisation zu bieten. Nun bieten die Cafés seit fast einem Jahr jeden Sonntag der Palästina-Solidaritätsbewegung einen Platz in Berlin.

UZ: Welche Aktivitäten werden angeboten?

Jamal: Im Laufe der Monate wurden die Cafés zunehmend mit inhaltlichen Programmen gefüllt: zum Beispiel mit Kunstausstellungen, Workshops, Filmscreenings, Diskussionsveranstaltungen mit verschiedenen linken Gruppen oder Medien und monatlichen Rechtsberatungen durch die Rote Hilfe. Mit dem offenen Netzwerk haben wir Kundgebungen und Demonstrationen, inhaltliche Veranstaltungen und Lesekreise zum aktuellen Genozid in Palästina und zum deutschen Imperialismus organisiert.

UZ: Wie wird das Angebot angenommen?

Jamal: Das Angebot wurde und wird mit großer Begeisterung im Stadtteil und darüber hinaus berlinweit aufgenommen. Das drückt sich durch konstant hohe Besucherzahlen und den direkten Zuspruch der Besucherinnen und Besucher sowie der Nachbarschaft aus. Das Fehlen von diskursiven linken Räumen hatte sich schmerzlich bemerkbar gemacht und so war für viele die Erleichterung groß, im Interbüro einen solchen Ort zu finden. Seitdem hat sich das Palästina-Café erfolgreich als Community-Ort etabliert, an dem sich palästinasolidarische Menschen aus ganz Berlin für den Austausch und das Vernetzen treffen.

UZ: Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Palästina-Café?

Jamal: Wir wollten erst einmal einen Ort der Diskussion, des Austauschs und der Vernetzung schaffen. Das übergeordnete Ziel ist die Organisierung eines Teils der Arbeiterinnen und Arbeiter im Wedding. Mit dem offenen Netzwerk bieten wir dafür einen Rahmen. Viele der Menschen, die wir ansprechen wollen, verfügen über ein intuitives oder bereits ausgeprägtes antiimperialistisches Grundverständnis, ohne dieses auf eine explizit marxistische Grundlage zu stellen. Das Palästina-Café und das offene antifaschistische und antirassistische Netzwerk stellen einen Schritt dar, um Menschen auch über die soziale Frage hinaus zu politisieren und klassenkämpferisch zu organisieren.

Auch die Erfahrungen mit der rassistischen Hetze von Politik und Medien und den Repressionen der Polizei spielen hier eine wichtige Rolle. Wir reden über Proletarierinnen und Proletarier, die sich nicht primär als solche verstehen, die über kein explizites Klassenbewusstsein verfügen, die aber in der Auseinandersetzung mit dem Staat beginnen, ihre antagonistische Stellung zum bürgerlichen Staat zu begreifen. Die geopolitischen Interessen der BRD münden nach außen in einem immer aggressiver werdenden Imperialismus und manifestieren sich gleichzeitig im Inneren in einer wachsenden Hetze und Repression, gerade gegen migrantisierte Arbeiterinnen und Arbeiter. Wir sehen unsere Rolle als Kommunistinnen und Kommunisten darin, die deutsche Beteiligung am Genozid in Gaza nicht nur moralisch anzuprangern, sondern die ihr zugrundeliegenden imperialistischen Interessen und Logiken zu erkennen, auf sie aufmerksam zu machen und konkrete Perspektiven für den organisierten Klassenkampf zu bieten. Dabei ist die Verankerung im Kiez wichtig. Das beschränkt sich nicht nur auf das Konzept der Palästina-Cafés, sondern zieht sich als strategischer roter Faden durch unsere Praxis bei „Hände weg vom Wedding“.

UZ: Was heißt das für die politische Arbeit?

Jamal: Zunächst einmal heißt das, dass wir die Arbeiterklasse dort ansprechen wollen, wo sie zu finden ist: in ihrem Kiez. Wir müssen vermitteln, weshalb der Kampf gegen den Imperialismus hier bei uns geführt werden muss, wieso wir diesen nur organisiert führen können und weshalb der Sturz des Kapitalismus ein zwingend notwendiges Ziel darstellt. Es geht langfristig um den Aufbau einer internationalistischen Bewegung. Dafür müssen wir das Klassenbewusstsein unserer Mitstreiterinnen und Mitstreiter im gemeinsamen, organisierten Kampf stärken und schulen.

UZ: Gibt es neben dem Zuspruch auch Anfeindungen?

Jamal: Wir haben uns zwei Formen der Anfeindungen ausgesetzt gesehen. Zum einen wurde einmal das Türschloss des Interbüro verklebt. Die größte Anfeindung haben wir nicht von Nachbarinnen und Nachbarn erlebt, sondern durch repressive Schikanemaßnahmen von Polizei und Politik: Unsere Treffen und Cafés wurden durch Zivilpolizisten beobachtet. Im Dezember 2023 kam es zu einer Hausdurchsuchung im Interbüro.

UZ: Wie kann Ihre Initiative unterstützt werden?

Jamal: Wir freuen uns über alle, die sonntags beim Café vorbeikommen oder zu den offenen Treffen des antifaschistischen und antirassistischen Netzwerks jeden vierten Donnerstag im Monat um 18.30 Uhr kommen und mit uns aktiv werden! Wir freuen uns ebenfalls über jede Unterstützung des Interbüros, um den Ort zu erhalten, an dem wir unsere Politik gestalten können. Weitere Informationen zum Interbüro und zu Unterstützungsmöglichkeiten wie Fördermitgliedschaften gibt es auf unserer Homepage interbuero.org.

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"Klassenkampf im Kiez", UZ vom 11. Oktober 2024



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