Wenn es um die Durchsetzung eigener Klasseninteressen geht, kann man von der Kapitalseite noch einiges lernen. „Deutschland muss die Ärmel wieder hochkrempeln. Mit niedriger Wochen- und Jahresarbeitszeit, verkürzter Lebensarbeitszeit und zugleich sehr hohen Lohnkosten werden wir Klimawandel, Demografie und Digitalisierung nicht bewältigen.“ Mit dieser Kampfansage machte „Arbeitgeber“-Präsident Rainer Dulger in der vergangenen Woche klar, in welche Richtung es bei der Gestaltung der Arbeitszeit gehen soll. Statt Arbeitszeitreduzierung, wie sie die Gewerkschaften fordern und die große Mehrheit der Beschäftigten wünscht, soll die Arbeitszeit verlängert und das „verstaubte Arbeitsrecht“ im Interesse der Unternehmer flexibilisiert werden. Da stören gesetzliche Vorgaben wie das Arbeitszeitgesetz mit festgelegten Höchstarbeitszeiten.
Der Mittelstand-Bundesverband BVMW möchte die Wochenarbeitszeit am liebsten gleich direkt mit den Mitarbeitern – ohne lästige Gewerkschaften und Betriebsräte – „vereinbaren“. Wenn die Auftragsbücher voll sind, dann soll die Arbeitszeit – ohne Rücksicht auf störende gesetzliche oder tarifliche Vorgaben – angehoben und in Krisenzeiten entsprechend reduziert werden. So wird das unternehmerische Risiko elegant auf die Beschäftigten abgewälzt.
Zeitgleich fordert das Institut der deutschen Wirtschaft (IW), die wöchentliche Arbeitszeit generell um zwei Stunden zu erhöhen. Geht es nach Gesamtmetall, sollen es sogar vier Stunden pro Woche mehr sein.
Paradoxerweise wird von den Kapitalverbänden der „dramatische Personalmangel“ als zentraler Grund für ihre Forderungen ins Feld geführt. Aktuell können Firmen nach eigenen Angaben bundesweit rund 1,7 Millionen Stellen nicht besetzen. Dass aktuell durchschnittlich 3,2 bezahlte und 4,0 unbezahlte Überstunden pro Beschäftigten geleistet werden, taucht in der Argumentation jedoch nicht auf. Auch zum Krankenstand, der mit 7,11 Prozent einen neuen historischen Höchststand erreicht hat, wird kein Wort verloren.
Aus gewerkschaftlicher und gesellschaftlicher Sicht gibt es viele gute Gründe für eine Reduzierung der Arbeitszeit. Um das Problem des Personalmangels und der ausufernden Überstunden anzugehen, ist sie unerlässlich. Die aktuellen Verlautbarungen von Kapitalvertretern zeigen: Arbeitszeitverkürzung real und bei vollem Lohnausgleich durchzusetzen geht nur gegen sie. Das setzt klare Interessenvertretung voraus, nicht „konzertierte Aktion“.