Zur zweiten Auflage der Studie „Die Wiederentdeckung der Klassengesellschaft“

Klassen und Klassenkampf

Von Herbert Münchow

Ekkehard Lieberam

Die Wiederentdeckung der Klassengesellschaft, Klassenohnmacht, Klassenmobilisierung und Klassenkampf von oben.

pad-Verlag 2018,

2. aktualisierte Auflage

70 Seiten, 5,- Euro,

Bezug: pad-verlag@gmx.net

Im Zentrum der politischen Konzeption des Marxismus stehen Begriff und Konzeption der sozialen Klasse und des gesellschaftlichen Klassenkampfes. Ekkehard Lieberam ist einer der maßgeblichen Autoren des Projektes „Klassenanalyse@BRD“ der Marx-Engels-Stiftung, die sich diesem Anliegen stets verpflichtet gefühlt haben. Es zeichnet ihn aus, dass er seinen Gegenstand langfristig verfolgt und bereits gezogene Schlussfolgerungen ohne Scheu neu durchdenkt. So auch in der zweiten Auflage der Studie „Die Wiederentdeckung der Klassengesellschaft“.

Zur ersten Auflage vor vier Jahren schrieb Claus Stille im Freitag vom 11. Juli 2014: „Einst waren Klassenbegriffe eindeutig, Inzwischen stellen sie sich per Meinungsmache ins Werk gesetzt verschwommen dar. Ekkehard Lieberam schafft Abhilfe. Eine weitere empfehlenswerte Broschüre im Rahmen des pad-Projektes ‚Ökonomisches Alphabetisierungsprogramm’. Es passt treffend in die Zeit.“ Die im Juli 2018 erschienene aktualisierte Auflage bringt zahlreiche neue empirische Belege zur anwachsenden sozialen Ungleichheit in den vergangenen Jahren. So den Rückgang der sozialpflichtig Versicherten von 80 auf 73 Prozent, das Anwachsen der Zahl der Leiharbeiter auf mehr als eine Million, die Erhöhung der Boni der Vorstände der 30 Dax-Konzerne von im Schnitt 5,3 Millionen 2013 auf im Schnitt 7.4 Millionen 2017. Die Existenz von Klassen und des Klassenkampfes zu verschweigen, wird aufgrund des sich verschärfenden Gegensatzes zwischen Armut und Reichtum, aufgrund des grundlegenden Akkumulationsschemas des Kapitalismus entweder immer schwieriger oder sogar unmöglich. So analysiert der Autor nicht nur die objektive Entwicklung des Gegenstandes, der kapitalistischen Klassengesellschaft, sondern auch deren subjektive Wahrnehmung/Widerspiegelung im gesellschaftlichen Bewusstsein und im Bewusstsein der Klassen.

Lieberam nimmt kritisch aus der Sicht klassentheoretisch verallgemeinerter geschichtlicher Erfahrungen zur Idee einer Sammlungsbewegung „aufrechter linker Politiker“ Stellung. Zu Recht charakterisiert er dabei das Ziel der alsbaldigen Bildung einer „sozialeren Regierung“ als völlige Fehlorientierung. Zustimmung findet die seit 2015 in Gang gekommene Debatte um eine sozialistische, verbindende Klassenpolitik, wobei er mit Marx und Engels und aufgrund der praktischen Erfahrungen darauf verweist, dass diese Orientierung nur Sinn macht, wenn man sie als Aufbau von Gegenmacht im Sinne der Entwicklung der Lohnarbeiterklasse zur „Klasse für sich selbst“ versteht. Friedrich Engels, so Lieberam, schrieb schon vor 150 Jahren: „Klassenpolitik“ bedeute die „Organisation des Proletariats als selbständige politische Partei“. Nur sei Engels dabei nie auf den Gedanken gekommen, vor der Organisierung nachhaltiger Gegenmacht in die Regierung zu gehen. Die Probleme der politischen Subjektwerdung der Lohnarbeiterklasse sind überhaupt ein genereller Gegenstand der Untersuchungen des Autors. Er erfasst auch geringe Ansätze, die sich in bescheidendem Maße vor allem über kleine Gruppen und Fraktionen der Klasse vollziehen, die als politische Akteure gegen die neoliberale Kapitaloffensive auftreten. Ein organisierendes politisches Zentrum sei allerdings nicht in Sicht. Genau dies, das möchte der Rezensent hier anmerken, ist auch das Problem der DKP.

Beachtlich an Umfang gewonnen hat der Teil der Broschüre, in dem über das Klassen- und Klassenkampfverständnis im Verlaufe der mittlerweile fast 2 000 Jahre der politischen Geschichte der Menschheit informiert wird. Hier ist unschwer zu erkennen, wie die Wirklichkeit zum Gedanken drängt. Zu Wort kommen nunmehr in aller Unterschiedlichkeit und Gegensätzlichkeit auch Thomas Münzer, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Georg Büchner, Ferdinand Lassalle, Günther Grass, Hans-Jürgen Urban und andere. Allein im Zusammenhang mit den neueren Diskussionen seit 2015 zur Notwendigkeit einer linken Politik als Klassenpolitik und zur globalen Klassenanalyse kommen mehr als ein Dutzend Wissenschaftler, Politiker und Gewerkschafter zu Wort.

Lieberams Abhandlung ist wissenschaftlich und politisch eine Bereicherung für die Bildungsarbeit der DKP zur Klassenanalyse und Klassentheorie. Überhaupt sollte sie einem breiten Leserkreis zugänglich sein.

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"Klassen und Klassenkampf", UZ vom 10. August 2018



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