Bürger aus Mörfelden-Walldorf, die gegen die (mehrfache) Erhöhung der Grundsteuer B geklagt hatten, bekamen dieser Tage Post vom Verwaltungsgericht. Darin werden sie informiert, dass die beiden Klagen, die als Musterverfahren ausgesucht worden waren, abgewiesen wurden. Die Kläger haben die Kosten zu tragen.
Dazu steht im Begleitbrief ein Angebot: Wer seine Klage zurücknimmt, bekommt ein bisschen Geld zurück (etwa ein Drittel der vorausbezahlten Gerichtskosten). Die Abweisung wird mit juristischen Ausführungen begründet, die 17 Seiten lang sind. Papier ist geduldig und für jedes Gesetz gibt es irgendeinen schlauen Text, mit dem man seinen Inhalt ins Gegenteil verkehren kann. Es finden sich Sätze, die zeigen, wohin die Reise geht:
„Eine gesetzliche Höchstgrenze für die Grundsteuer gibt es nicht; der hessische Landesgesetzgeber hat von der ihm in § 26 GrStG insoweit eingeräumten Ermächtigung bis dato keinen Gebrauch gemacht.“ Zu deutsch: „Seid froh, dass ihr nicht noch mehr abgezockt werdet.“
Schön auch der Satz: „Die Überwachung der Einhaltung der Haushaltsgrundsätze ist nicht Sache der Gemeindebürger, sondern allenfalls der kommunalen Aufsichtsbehörde.“ Zu deutsch: Das Volk hat nichts zu melden, auch wenn in den Verfassungen etwas anderes steht.
Oder: „Eine erdrosselnde Wirkung einer Steuer ist erst dann anzunehmen, wenn nicht nur ein einzelner Steuerpflichtiger, sondern die Steuerpflichtigen ganz allgemein unter normalen Umständen die Steuer nicht mehr aufbringen können.“ Zu deutsch: Erst wenn sämtliche Steuerpflichtigen bankrott gehen, kann das Gericht etwas dagegen unternehmen. Trifft es aber nur ein paar hundert, dann „kammer nix mache.“
Der Trick hierbei: Die Behauptung wird nicht mit einem Gesetz begründet, sondern mit einem anderen Urteil des hessischen Verwaltungsgerichtshofes und einem Gesetzeskommentar. Das Gericht nimmt also seine eigene Meinung (und die einiger privater Gesetz-Erklärer) als Grundlage seines Urteils. Das Gesetz selbst bleibt außen vor. Und so geht es munter durch sämtliche 17 Seiten.
Zwischen den Zeilen des Urteils und seiner Begründung ist deutlich zu lesen: Wo kämen wir denn hin, wenn ein Gericht den Städten und Gemeinden Grenzen für das Abkassieren ihrer Einwohner setzen würde? Das aber ist keine Verwaltungsgerichtsbarkeit – das ist politische Justiz.
Kurt Tucholsky schrieb 1930: „Ich habe ja nichts gegen die Klassenjustiz. Mir gefällt nur die Klasse nicht, die sie macht. Und daß sie noch so tut, als sei das Zeug Gerechtigkeit – das ist hart und bekämpfenswert.“ Dem haben wir nichts hinzuzufügen.
Den verbliebenen Klägern empfehlen wir, das Angebot des Gerichtes – auch wenn es unsittlich ist – anzunehmen, ihre Klagen zurückzuziehen und sich das Restgeld auszahlen zu lassen.
Eine Niederlage ist das nicht.
Im Gegenteil:
Die Widersprüche und die Klagebereitschaft vieler Einwohner haben den politisch Verantwortlichen vor Augen geführt, dass weitere Steuer- und Gebührenerhöhungen wegen des zu erwartenden Widerstands nicht durchsetzbar sind.
Der Verwirklichung des Wahlversprechens der Freien Wähler, die Grundsteuer wieder zu senken, sehen wir mit Spannung entgegen.
Und die Lehre, die das Gericht über das Wesen dieses Staates erteilt hat, war ihr Geld wert.
Wir haben verstanden!