Im Berliner Großstadtdschungel gibt es Geschichten, die möchte man nicht glauben. Die Neueste dreht sich um die versuchte Vertreibung des Buchladens „Kisch & Co“ von der Kreuzberger Oranienstraße. Sie zeigt aber auch, dass die Immo-Welt Angst vor Widerstand und Solidarität hat.
Anders lässt sich die Dummheit nicht erklären: „Victoria Immo Properties“ mit Sitz in Luxemburg, Besitzerin des Hauses Oranienstraße 25 seit 2019, bot die Verlängerung des Mietvertrages bis Dezember dieses Jahres an – unter der Bedingung, dass die Buchhändler ein Youtube-Video in die Welt setzen, in dem sie das Entgegenkommen des Miethais und die Zusammenarbeit mit ihm loben. Briefe diesen Inhalts sollten zudem an Kommunalpolitiker von SPD, Grünen und Linken gehen, die sich für den Erhalt von „Kisch & Co“ einsetzen. Adressaten sollten auch zwei Journalisten der „Berliner Zeitung“ und des RBB sein, die kritisch über die Machenschaften der Immo-AG berichtet hatten. Der Inhalt der Lobhudelei sollte, das wundert nun nicht mehr, mit „Victoria Immo Properties“ abgestimmt und über den Vorgang sollte Stillschweigen bewahrt werden. Die „Berliner Zeitung“ berichtete, dass in der Vertragsklausel auch „Vertraulichkeit über die Person des Vermieters und seiner Gesellschafter“ vereinbart werden sollte – über das Ende des Mietverhältnisses hinaus.
Thorsten Willenbrock, einer der beiden Betreiber von „Kisch & Co“, unterschrieb nicht und bewahrte auch kein Stillschweigen. Am 24. Juni informierte er auf einer Kundgebung vor dem Laden über das Geschehen und den aktuellen Stand. Mit oder ohne die absurde Lobby-Klausel war der Vertrag für ihn keine Option, denn sie hätte das definitive „Aus“ für „Kisch & Co“ im Dezember des Jahres bedeutet. Die Buchhändler sind seit 23 Jahren auf der O-Straße und wollen eine bezahlbare Dauerlösung. Mit diesem Wunsch sind sie nicht allein. Zu dem Protest aufgerufen hatte die Initiative „Volle Breitseite für unseren Buchladen und den Kreuzberger Kulturstandort Oranienstraße 25“. Zur Kundgebung kamen weit mehr als 100 Menschen aus dem Kiez. Für sie ist der Buchladen Treffpunkt und Institution, einer der letzten Anker in der Straße, die überschwemmt wird von Touristen und ihren Bedürfnissen.
Der aktuelle Stand lautet, dass „Kisch & Co“ räumungsbedroht ist. Nachdem Willenbrock weder diesen noch einen von der absurden Klausel bereinigten Vertrag unterzeichnet hatte, wurde er aufgefordert, die Räume bis zum 19. Juni zu verlassen. Da es bereits einen Folgemietvertrag gebe, drohten erhebliche Schadenersatzforderungen, wenn der Laden nicht leer übergeben werde. Wohin die Reise gehen soll, zeigt die angebotene Vertragsverlängerung für ein im gleichen Haus sitzendes Architektenbüro. Bei einer Mietsteigerung von 13 Euro auf 38 Euro je Quadratmeter kalt darf es bleiben – vorerst. „Das ist nicht zu schaffen“, berichtete der Architekt Alexander Elgin Koblitz auf der Kundgebung. Alle Mieter im Haus hätten sich mit „Kisch & Co“ solidarisiert: „Wir bleiben gemeinsam.“