Die Vereinahmung der Besucher für reaktionäre Politik

Kirchentag mit falschen Tönen

Von Raphael Fleischer

Was die Verantwortlichen dazu brachte, als Motto eine Bibelstelle aus dem 1. Buch Mose zu wählen „Du siehst mich“, lässt schaudern. Die Geschichte einer Sklavin, die dazu herhalten muss, den Fortbestand des Hauses Abraham zu sichern, in dem sie gezwungen wird, als Leihmutter herzuhalten, schwanger und voller Verzweiflung in die Wüste geht, dort eines der gern verwendeten Engelserlebnisse zu haben, demütig zurückkehrt, den Sohn Ismael austrägt und dann aus der Geschichte verschwindet, ist schon ein starkes Stück. Nur mit reichlich viel Aufwand wird daraus dann eine positive Hinwendung zu Gott und den Mitmenschen herbeigeredet.

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( Horst JENS / Lizenz: CC BY-SA 2.0)

Der 36. Evangelische Kirchentag ist am letzten Sonntag mit einem Gottesdienst mit rund 120 000 Teilnehmern zu Ende gegangen. Dabei teilte sich die Hauptstadt Deutschlands und die der Reformation, also Wittenberg, die Austragung. Rund 100 000 Dauerteilnehmer und zehntausende Tagesbesucher waren zu Gast.

Nach eigener Darstellung kostete der Kirchentag, trotz breiter ehrenamtlicher Leistungen und dem Verzicht auf Honorare, rund 22 Millionen Euro, wovon über 11 Millionen der Bund und die Länder Berlin und Brandenburg trugen. In der EKD – der Veranstalter – sind einige der reichsten Kirchen der Welt versammelt, die EKD selbst ist nur das Dach der 20 unabhängigen Landeskirchen Deutschlands. Diese Kosten selbst zu tragen wäre sehr wohl machbar. Diese Kosten der Allgemeinheit aufzubürden, ist dagegen dreist, von der EKD genauso wie von Seiten der staatlichen Ebenen. Daneben unterstützten rund 250 Bundeswehrsoldaten den Kirchentag beim Aufbau der Infrastruktur. Ganz ohne Not, geschweige denn eines Notstands, wird hier die Bundeswehr im Innern eingesetzt und deren Auftreten in Deutschland normalisiert.

Leidiges Thema, wie alle zwei Jahre: Natürlich durfte wieder die Big Band der Bundeswehr ihren Militarismus hinausposaunen. Man sollte meinen die evangelischen Kirchen dieses Landes hätten noch genug Bläservereine, dass sie darauf verzichten könnten. Daneben wurde der Militarismus aber noch viel konkreter artikuliert. Zum Beispiel durch die Einladung Merkels und Obamas zu einer Podiumsdiskussion unter Moderation des Vorsitzenden des Rates der EKD, Heinrich Bedford-Strohm und der Kirchentagspräsidenten Christina aus der Au. Dabei brachte die Moderation durchaus Kontroverses aufs Tableau. Geradezu beleidigt fiel die Kanzlerin dem höchsten Repräsentanten der Protestanten bei der Frage der Flüchtlingsfrage ins Wort und erteilte jeglichem erbetenen und erwünschten Humanismus eine Abfuhr. In den digitalen Netzwerken machte dabei folgendes Zitat Obamas jubelnd die Runde „In den Augen Gottes verdient das Kind auf der anderen Seite der Grenze nicht weniger Liebe und Mitgefühl als mein eigenes Kind“. Das Verhältnis zu den zahlreichen Opfern des US-amerikanischen Drohnenkrieges stellte die Frage eines jungen Kirchentagsbesuchers her. Obamas Antwort: Das Problem sei ja nicht die Drohne, mit dem Hinweis diese verursache weniger zivile Opfer, sondern der Krieg. Wer diesen wohl die letzten acht Jahre zu verantworten hatte? Am Ende hatte diese Veranstaltung, vor allem durch die unablässigen Komplimente Obamas, den Charakter einer Wahlkampfveranstaltung der Bundeskanzlerin.

Daneben wurde auch Kriegsministerin Ursula von der Leyen bei einer Bibelarbeit (!) ein Podium für ihre Sicht der Dinge geboten. Es ist zwei jungen Frauen zu verdanken, dass diese auch innerhalb kirchlicher Kreise umstrittene Veranstaltung, nicht widerspruchsfrei verlief. Sie ließen sich von einer Empore in die Luft abseilen und zeigten auf einem Transparent „War starts here“ (Krieg beginnt hier). Am umstrittensten war allerdings die Präsenz von AfD-Funktionären. Im Vorfeld war darum intensiv gestritten worden. Von konservativer Seite wird seit langem die Politisierung des Kirchentags kritisiert, was angesichts der Präsenz zahlreicher politischer Funktionäre, die häufig ohne jeden christlichen Bezug ihre Propaganda verbreiten, durchaus verständlich ist. Ein Kirchentag, von dem progressive Impulse für die Gesellschaft ausgehen, wie es in den 80er Jahren ja durchaus der Fall war, ist aktuell in weiter Ferne. Dies der Kirche, ihrer Moral oder dergleichen vorzuwerfen, kann man sich schenken. Auch der Kirchentag und die Diskussionen dort spiegeln die Kräfteverhältnisse in Deutschland wider. Oder anders, dass so viel reaktionäre Propaganda dort möglich ist, liegt auch an der Schwäche progressiver Kräfte.

Nicht verheimlichen sollte man dagegen einen positiven Aspekt. Durchaus zu Recht hat die Kirche sich in der Flüchtlingsfrage Anerkennung verdient. Selten haben sich die Kirchen (zahlreicher Konfessionen) so eindeutig politisch geschlossen positioniert, wie in der Flüchtlingsfrage. Für die Kirchenasylpraxis werden gerade Pfarrerinnen und Pfarrer in Bayern mit Verfahren bedroht und überzogen.  Auch das war Thema beim Kirchentag.

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"Kirchentag mit falschen Tönen", UZ vom 2. Juni 2017



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