NATO schiebt Beitritt der Ukraine auf lange Bank. Kriegspakt will „Untergrenze“ für Militärausgaben festlegen

Kiew enttäuscht

Am 11. und 12. Juli treffen sich die Staats- und Regierungschefs der 31 NATO-Mitgliedsländer in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Mit einer Konferenz der Verteidigungsminister des Paktes am 15. und 16. Juni in Brüssel begann die unmittelbare Vorbereitung des Gipfels. Das Ziel: Größtmögliche Geschlossenheit gegen Russland zu demonstrieren.

Das wird nach außen hin mit entsprechender Sprachregelung klappen, im Innern bleiben harte Gegensätze. In mindestens zwei wichtigen Fragen gehen die Auffassungen der NATO-Mitgliedstaaten auseinander: Bei der Höhe der jeweiligen nationalen Aufwendungen für Krieg und Rüstung sowie bei der Mitgliedschaft der Ukraine. Neue Pläne, mit denen die Abschreckung gegenüber Russland erhöht werden sollte, wurden sogar ganz vom Tisch genommen. Grund waren nach inoffiziellen Angaben Änderungswünsche der Türkei, die insbesondere Griechenland nicht akzeptieren wollte.

Bei den Militäretats geht es vor allem um die Frage, wie mit dem sogenannten 2-Prozent-Ziel umzugehen ist. Dieses sieht aktuell vor, dass sich alle Bündnisstaaten bis 2024 dem Richtwert annähern, mindestens 2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Armee auszugeben. Bislang erreichen das lediglich acht NATO-Staaten. Der deutsche Kriegsminister Boris Pistorius erklärte in Brüssel, Deutschland werde das Ziel 2024 erreichen und dann auch halten. Als „Basis“ sollten die 2 Prozent vorerst aber nicht gelten. Als Grund nannte er Schwierigkeiten anderer Staaten und den Wunsch, nicht erneut Zielvorgaben für einen Zehnjahreszeitraum zu machen. Kanada und Italien sehen keine finanziellen Spielräume für Mehrausgaben. Andere Länder sprachen sich hingegen in Brüssel genau dafür aus. So forderte der estnische Minister Hanno Pevkur, die Zielvorgabe auf 2,5 Prozent anzuheben. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin erklärte: Nach seiner Ansicht sollten „2 Prozent die Untergrenze sein und nicht die Decke“.

Erhebliche Meinungsunterschiede gab es in Brüssel auch beim Umgang mit den NATO-Beitrittshoffnungen der Ukraine. Als ein weiterer Kompromiss zeichnet sich ab, dass sich alle Mitgliedstaaten damit einverstanden erklären, vor einer möglichen Aufnahme nicht auf dem üblichen Heranführungsprogramm zu bestehen. Auch er sei dafür offen, sagte Pistorius in Brüssel. Ein Verzicht auf den Aktionsplan zur Mitgliedschaft (Membership Action Plan – MAP) soll der Ukraine in Vilnius Entgegenkommen signalisieren. Der dorthin als Gast eingeladene ukrainische Präsident Wladimir Selenski hatte sich allerdings eine konkrete Einladung zum NATO-Beitritt erhofft. Die wollen aber Länder wie die Bundesrepublik und die USA im Gegensatz zu Staaten wie Litauen nicht aussprechen und haben sich durchgesetzt. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte jedenfalls am Montag bei einem Besuch in Berlin: „Beim Vilnius-Gipfel und in den Vorbereitungen auf den Gipfel diskutieren wir nicht, eine formelle Einladung auszusprechen. Was wir diskutieren ist, wie wir die Ukraine näher an die NATO heranführen können.“

Bereits am 14. Juni hatten die NATO-Staaten in einem schriftlichen Verfahren Kiew einen Trostpreis überreicht: Die bestehende NATO-Ukraine-Kommission soll künftig „NATO-Ukraine-Rat“ heißen. Pistorius kündigte in Brüssel an, dieser Rat werde erstmals am Rande des NATO-Gipfels in Vilnius tagen. Die Ukraine bekomme nun einen gleichberechtigten Platz am Tisch der Allianz und sei nicht mehr nur Gast. Das sei ein deutliches Zeichen, dass man die Zukunft der Ukraine in der NATO sehe. Zugleich sei aber allen Beteiligten auch klar, dass sich die Aufnahme eines Landes, das sich im Krieg befindet, schlicht und ergreifend verbiete. „Das muss allen klar sein, weil dann die NATO unmittelbar Kriegspartei wäre.“ Im Klartext: Der Krieg gegen Russland geht weiter, in ihm sollen wie bisher Ukrainer im NATO-Auftrag sterben.

Die Enttäuschung in Kiew ist groß. Außenminister Dmitri Kuleba teilte noch am 16. Juni in einem Telefonat seiner deutschen Amtskollegin Annalena Baerbock mit, der Beschluss über den NATO-Ukraine-Rat sei ein „Panzer ohne Granaten“. Der NATO reicht die dauerhafte Feindschaft zwischen Kiew und Moskau, Selenski und und seine Verbündeten innerhalb der NATO möchten mehr.

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"Kiew enttäuscht", UZ vom 23. Juni 2023



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