Nur wenige Wochen nach der Amtsübernahme des neuen argentinischen Staatschefs Javier Milei haben Tausende Menschen gegen dessen unsoziale Politik demonstriert. Neben Kundgebungen im Zentrum von Buenos Aires war in weiten Teilen der Hauptstadt der Lärm der „Cacerolazos“ zu hören. Das lautstarke Schlagen auf Kochtöpfe und Deckel ist eine in Südamerika seit Jahrzehnten populäre Protestform, weil sie sich – anders als Demonstrationen auf der Straße – von der Staatsmacht nicht ohne weiteres unterdrücken lässt. Sie symbolisiert zudem, dass die Töpfe leer sind, sonst könnte man ja auf ihnen nicht solch einen Krach machen.
Und tatsächlich droht das unsoziale Kahlschlagprogramm, das Milei unmittelbar nach seinem Amtsantritt am 10. Dezember verkündete, Hunger und Elend unter den Volksschichten in Argentinien zu verschärfen. Nicht weniger als 300 Gesetze will die neue Regierung im Interesse der Konzerne ändern. So sollen allein 40 Bestimmungen des Arbeitsgesetzes zu Lasten der Beschäftigten neu gefasst werden, so dass die Gewerkschaften bereits warnen, dass Errungenschaften der vergangenen 100 Jahre in Frage gestellt würden. Beschäftigte sollen gegen die Nichteinhaltung ihres Arbeitsvertrages durch die Unternehmer nicht mehr klagen können, während zugleich bisher den Firmen drohende Strafen für Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit abgeschafft werden. Die „Probezeit“ soll von drei auf acht Monate ausgeweitet werden – und den Unternehmern erlaubt werden, Beschäftigte in diesem Zeitraum von einem Tag auf den anderen zu entlassen, ohne ihnen auch nur einen Peso bezahlen zu müssen. Auch für alle anderen Arbeiterinnen und Arbeiter soll der Kündigungsschutz praktisch abgeschafft werden. 7.000 befristete Stellen im öffentlichen Dienst wurden zu Jahresbeginn nicht verlängert.
Zugleich müssen sich die Menschen auf massive Preissteigerungen einstellen. Bisherige Kontrollen werden abgeschafft, Preise etwa für den Nahverkehr sollen sich bereits Anfang Januar teilweise verdreifachen. Auch Mieterschutzgesetze gibt Milei in den Reißwolf und überlässt unzählige Bewohner dem Wohl und Wehe der Hauseigentümer. Nahezu alle staatlichen Unternehmen wie die Fluggesellschaft Aerolineas Argentinas, das Erdölunternehmen YPF und andere – die teilweise erst in den vergangenen Jahren von den progressiveren Regierungen wieder aufgebaut worden waren – sollen privatisiert werden. Entsprechend lautet eine der zentralen Losungen bei den Protesten bereits „La patria no se vende“ – „Das Vaterland steht nicht zum Verkauf“.
Die Kommunistische Partei Argentiniens schätzt Milei und seine Regierung nicht nur als „ultraliberal“, sondern sogar als „neofaschistisch“ ein. Es dürfe für das Regime keinen einzigen Tag Ruhe geben, hatte die Partei bereits am Tag von Mileis Amtsantritt am 10. Dezember erklärt. „Die Speerspitze des Widerstandes müssen die Arbeiterklasse und die Arbeiterbewegung in all ihren Ausdrucksformen sein, gemeinsam mit den Studierenden, der feministischen Bewegung und allen durch diese Politik angegriffenen Schichten“, heißt es in dem Statement. Dringend notwendig sei die Einheit der zersplitterten Gewerkschaftsbewegung, um den Sozialabbau, die Ausplünderung und die Repression zu bekämpfen.
Die drei großen Dachverbände – CGT, CTA-A und CTA-T – sowie weitere Arbeiterorganisationen scheinen diese Notwendigkeit auch erkannt zu haben. Für den 24. Januar haben sie zu landesweiten Streiks und Demonstrationen aufgerufen. Das Datum ist nicht zufällig gewählt, wie die Zeitung der argentinischen KP, „Nuestra Propuesta“, Ende Dezember berichtete. Einen Tag später beginnt im Parlament die Behandlung der Gesetzesvorhaben Mileis. Geht es nach dem Staatschef, sollen die Abgeordneten einem Ermächtigungsgesetz zustimmen, das ihm für zunächst zwei Jahre weitgehende Vollmachten erteilen soll. Doch das hinter Milei stehende Rechtsbündnis „La Libertad Avanza“ (Die Freiheit schreitet voran) verfügt im Parlament über keine eigene Mehrheit. Das Ringen um die Stimmen der Abgeordneten hat bereits begonnen.
Solidarität erhält die Widerstandsbewegung vom Weltgewerkschaftsbund. Dieser lehnte in einer Erklärung „die neofaschistische Politik der Regierung Milei in Argentinien entschieden ab“. Die volksfeindlichen Maßnahmen der Regierung bedrohten die Arbeiterklasse und die soziale Gerechtigkeit. „Der Weltgewerkschaftsbund steht an der Seite der argentinischen Arbeiterinnen und Arbeiter und der klassenorientierten Gewerkschaftsbewegung des Landes und prangert die Privatisierung staatlicher Einrichtungen, die Aushöhlung von Arbeitnehmerrechten und die allgemeine neoliberale Agenda an.“