Wer etwas über den Zustand erfahren will, in dem sich die Staatenwelt gegenwärtig befindet, kann sich einfach anschauen, wie der Krieg zwischen Israel und der Hamas auf der Ebene der Vereinten Nationen behandelt wird. Immerhin hat er das Zeug, den gesamten Nahen und Mittleren Osten in einen Flächenbrand zu versetzen – Anlass genug eigentlich, ihn irgendwie einzuhegen zu versuchen. Und trotzdem: Der UN-Sicherheitsrat ist, wie so häufig in den vergangenen Jahren, komplett handlungsunfähig. Gleichgültig, wer einen Resolutionsentwurf vorlegt: An irgendeiner der fünf Vetomächte scheitert jeder. Das ist kein Ausdruck diplomatischer Inkompetenz oder gar schlicht bösen Willens: Ihre blanken Interessen, die die Mächte im UN-Sicherheitsrat vor sich her treiben, geben Kompromisse nicht mehr her. Das Potenzial, eskalierende Konflikte einzuhegen, fehlt.
Auch in der Praxis sieht es düster aus. Da versucht der UN-Generalsekretär, irgendwie eine Position festzuklopfen, auf die man die Staatenwelt orientieren, auf der man vielleicht wieder gemeinsamen Grund finden kann. Zu dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober hält António Guterres fest: „Das Leiden des palästinensischen Volkes kann die entsetzlichen Angriffe nicht rechtfertigen.“ Mit Blick auf die rasant in die Höhe schnellende Zahl der zivilen Todesopfer in Gaza fährt er fort: „Die entsetzlichen Angriffe können keine kollektive Bestrafung des palästinensischen Volkes rechtfertigen.“ Und er erwähnt, das Massaker, wenn es auch durch nichts zu rechtfertigen sei, stehe im Kontext von 56 Jahren „erstickender Besatzung“; wolle man das Töten und Sterben endlich beenden, müsse also eine politische Lösung her. Was geschieht? Israels UN-Botschafter kündigt an, Guterres werde kein Visum für sein Land mehr erhalten; UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths bekomme schon jetzt keines mehr.
Und die Resolution, die die Generalversammlung der Vereinten Nationen am vergangenen Freitag verabschiedet hat? Mit einer Einigung, die die Konfliktparteien zumindest ein wenig hätte zusammenführen können, war ohnehin nicht zu rechnen gewesen. Der Forderung, es solle einen sofortigen humanitären Waffenstillstand geben, stimmten schließlich 120 Staaten zu; 14 waren dagegen, 45 enthielten sich. Wie zu erwarten, plädierte die überwiegende Mehrheit des Globalen Südens für den Waffenstillstand. Ausnahmen bestätigten die Regel: Indien, das sich wohl nicht allzu offen auf die Seite der islamischen Länder schlagen wollte; einige Pazifikstaaten, die im Machtkampf zwischen den USA und China zuletzt besonders heftig unter US-Druck geraten waren. Die wohl wichtigste Erkenntnis aber war: Der Westen selbst war zersplittert. Zum einen waren die Vereinigten Staaten mit ihrem Nein beinahe isoliert; Britannien, sonst stets loyal an ihrer Seite, enthielt sich dieses Mal, ebenso wie übrigens die Ukraine, die damit ihren Hauptkriegsfinanzier im Regen stehen ließ.
Zum anderen hat sich die EU komplett zerlegt. Schon auf dem EU-Gipfel, der kurz vor der Abstimmung in der UN-Generalversammlung zu Ende gegangen war, hatte es lediglich einen Formelkompromiss in der Sache gegeben. Nun legten die Mitgliedstaaten ihre Karten offen auf den Tisch. Frankreich, das sich aktuell – wieder einmal – als eigenständige Macht im Nahen Osten zu positionieren sucht, stimmte mit Ja; Spanien, Belgien und einige weitere EU-Staaten schlossen sich an. Kroatien, Tschechien, Ungarn und Österreich stellten sich mit einem Nein klar an die Seite Israels und der USA. Und Deutschland? Berlin lavierte, enthielt sich letzten Endes; hätte es, entsprechend seiner realen Politik in den vergangenen Wochen, mit Washington votiert, hätte das die EU noch stärker zerlegt. Zur scharfen Polarisierung zwischen dem Globalen Süden und dem alten Westen kommen also – in einer Zeit, in der so vieles zum Krieg drängt wie seit langem nicht mehr – zumindest in der Nahostpolitik noch wachsende innerwestliche wie auch innereuropäische Brüche hinzu.