Als am Sonntagnachmittag kurz die Sonne rauskommt über der Münchner Innenstadt, macht sich die saudische Delegation bereit zur Abreise aus dem Luxushotel „Vier Jahreszeiten“ in der Maximilianstraße. Wenige Meter weiter, vor dem „Bayerischen Hof“, werden die letzten Straßenabsperrungen abgebaut. Drei Tage lang wurden Straßenbahnen umgeleitet, bestimmte Innenstadtzonen nicht mehr betretbar gemacht und immer wieder ganze Straßenzüge gesperrt, damit Kolonnen schwarzer Limousinen die Herrschenden aus aller Welt kutschieren konnten.
Mit dem Ende der diesjährigen „Munich Security Conference“ hat ihr Leiter Wolfgang Ischinger unter Beweis gestellt, dass es trotz Corona möglich ist, eine internationale Beratung wieder unter echter Anwesenheit durchzuführen – das erste Ziel, welches er mit Beginn der Pandemie verkündete. Denn der Charakter der Münchner Kriegskonferenz lebt von der persönlichen Begegnung der Teilnehmer: Während im Hauptsaal die großen Fragen der internationalen Politik von Vertretern meist der deutschen Bundesregierung, USA, NATO, EU, Frankreich und Großbritannien referiert und diskutiert werden, treffen sich in zahlreichen Suiten im ganzen Hotel Waffenschieber und Lobbyisten zu sogenannten „Side Events“ – oder auf deutsch: Hinterzimmergesprächen.
Dass das offizielle Programm und das Side-Programm eine Einheit bilden, dass also der Zweck der pompös zelebrierten „Sicherheitskonferenz“ neben der öffentlichen Werbung für die außenpolitischen Ambitionen des deutschen Imperialismus auch das Erschließen neuer Absatzmärkte für die deutsche Rüstungsindustrie ist, das wissen Friedensaktivisten schon lange. Dass diese Geschäfte nun aber im Zuge einer „Spiegel“-Recherche öffentlich werden, ist für die „SiKo“, wie die Konferenz von vielen genannt wird, eine Zäsur. Vor allem, dass der Konferenzleiter mit seiner Firma „Agora Strategy“ nun persönlich im Mittelpunkt steht. Haltlos sei das, beteuert Ischinger in zahlreiche Kameras. Doch Konkretes, das die recherchierten Verbindungen entkräften könnte, bietet er nicht an. Wer, wenn nicht der Organisator der Privatkonferenz, soll Kontakte zwischen Rüstung und Käufern – wie den nobel residierenden Saudis – vermitteln, wenn nicht der Konferenzleiter, der das Programm mitsamt den „Side Events“ organisiert?
Dieses Jahr aber standen nicht Waffendeals im Mittelpunkt, sondern eine transatlantische Strategie gegen den militärischen Konkurrenten Russland und damit verbunden gegen den systemischen Rivalen China. Ischinger begründete mit der „Ukraine-Krise“, dass es in den vierzehn Jahren unter seiner Leitung „keine wichtigere Konferenz“ gab.
Auf der Konferenz dann drehte sich alles gegen Russland. NATO-Chef Stoltenberg wurde mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet und polterte in seiner Rede: „Wenn das Ziel des Kreml ist, weniger NATO an den Grenzen zu haben, bekommen sie mehr NATO.“ Zwischentöne gab es nur von Kanzler Olaf Scholz, der sich zahm gegen den „Anspruch einer global operierenden NATO“ stellte. Er machte deutlich, dass der wirtschaftliche Aufstieg der Volksrepublik China den Verteilungskampf um die Ressourcen der Welt verschärft: „Die Tortenstücke schrumpfen.“ Er setzt deswegen weiterhin auf das „Stichwort: europäische Souveränität“ und konkretisiert, „‚Macht unter Mächten‘ zu bleiben, darum geht es“.
Annalena Baerbock sprach von Werten und der Sicherheit ukrainischer Mütter, für die sie sich einsetze. Denn die aktuelle Lage sei eine schwere Krise „hier in Europa, gerade hier als Transatlantiker. Nach dieser Krise wird diese Welt eine andere sein“, so die grüne Außenministerin. Scholz forderte eine schnelle EU-Osterweiterung, nachdem er sich wenige Tage vorher in Moskau gegen eine NATO-Osterweiterung aussprach. Der Kanzler versucht die Bedeutung des deutschen Imperialismus mit dem Instrument der EU zu stärken und somit aus dem Windschatten der USA herauszutreten, die er als „Gravitationszentrum“ bezeichnete.
Draußen, vor dem Bayerischen Hof, interessierte sich niemand für die Frage, ob perspektivisch lieber EU-geführte oder NATO-geführte Truppen an der russischen Westgrenze aufmarschieren sollen. Das „Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz“ hatte zur Umzingelung des Tagungsortes als Protest gegen deren Kriegspolitik aufgerufen. Obwohl die Polizei von weniger Teilnehmern berichtet, konnten die Veranstalter über 3.000 Demonstrierende zählen – Das sind fast so viele Menschen wie die Anzahl an Polizisten, die für die Festung Münchner Sicherheitskonferenz im Einsatz waren.
Da der Ton der Herrschenden rauer wird, werden die Analysen der Demonstrierenden klarer. So berichtete zum Beispiel die Münchener „Abendzeitung“: „Und noch etwas ist an diesem Samstag anders als bei früheren Siko-Demos. Vor ein paar Jahren waren viele pazifistische Symbole, die Regenbogenfahne, Friedenstauben und auch religiöse Symbole zu sehen. Als sich die Demo kurz nach 14 Uhr diesmal vom Stachus aus in Richtung Lenbachplatz in Bewegung setzt, dominieren rote Fahnen das Bild.“