In der Wissenschaft gibt es die Diskussion, das aktuelle Erdzeitalter nicht mehr Holozän zu nennen – also die Zeit nach der letzten Eiszeit –, sondern die Erdgeschichte nun nach dem Menschen zu benennen. Die aktuelle Erdgeschichte als „Anthropozän“ zu bezeichnen, das heißt, dass der Mensch vor allem die geologischen Prozesse die Böden und die Stoffkreisläufe verändert hat.
Die „Geologische Gesellschaft“ hat diesem Vorschlag bereits zugestimmt. Die Debatte läuft jetzt vor allem darum, wann dieses Erdzeitalter begonnen hat. Dafür gibt drei Hauptvorschläge. Erstens: 1800 als Beginn der Industrialisierung, zweitens den 6. August1945, den Tag des Atombombenwurfs auf Hiroshima, oder drittens 1950 mit der „Great Acceleration“, also der großen Beschleunigung. In der Arbeitsgruppe zum Anthropozän der „International Commission on Stratigraphy“ haben sich die Mitglieder jetzt mehrheitlich für das Jahr 1950 ausgesprochen.
Paul J. Crutzen – der Erfinder des Begriffs „Anthropozän“, ehemaliger Direktor des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz und Entdecker der Ozonlöcher – hat eine Diskussion auch in den Gesellschafts- und Sozialwissenschaften eingefordert, da es eben nicht nur eine geologische Frage ist. Crutzen hat übrigens auch an der ersten Studie mitgewirkt, wie sich ein Atomkrieg auf die Ökologie des Erde auswirken wird. Von ihm stammt auch wesentlich der Begriff des „atomaren Winters“, da nach der Szenarienvorstellung eines Atomkriegs zwischen der Sowjetunion und der USA zu einer neuen Eiszeit geführt hätte und mehr Menschen an den ökologischen Folgen als an den Bomben an sich gestorben wären.
Es gibt auch den Vorschlag, das Erdzeitalter statt „Anthropozän“, „Kapitalozän“ zu nennen. In diese Diskussion könnten wir uns als Marxisten einbringen.
Die Diskussion um die Definition des Begriffs Anthropozän wird nicht nur im wissenschaftlichen Elfenbeinturm diskutiert, sondern er unterliegt dem Klassenkampf und dem ideologischen Kampf im Überbau. Wir dürfen nicht den Fehler machen, über diesem Klassenkampf die Grundlagen der Wissenschaft nicht zu akzeptieren. Wissenschaftliche Konzepte und Modelle müssen entwickelt werden, um ein System zu verstehen und es dazu vereinfachen und systematisieren. Man darf dann aber nicht vergessen, dass es beliebig viel komplizierter und komplexer ist und vor allem miteinander in Verbindung steht.
Ich befasse mich nun mit der Kritik an der Klimawissenschaft. Ich möchte mir angucken
• Welche Kritik ist berechtigt und bezieht sich auf Fakten?
• Welche beziehen sich vor allem an die Berichterstattung der Medien?
• Oder ergibt sich die Kritik nur an einer vereinfachten Wahrnehmung?
Hier möchte ich mit einem Beispiel arbeiten:
Es gibt berechtigte Kritik an einer wissenschaftlichen Veröffentlichung von Michael Mann, die allgemein als „Hockeyschlägertheorie“ in die Diskussion eingegangen ist.
Hier wurden Proxydaten genutzt, um die Temperaturen in der Vergangenheit abzuschätzen, und sie dann mit den gemessenen Daten zu verbinden. Mann hat handwerkliche Fehler gemacht, seine Modellstrukturen nicht offengelegt und offensichtlich auch Daten manipuliert.
Einer der Hauptkritiker war damals Hans von Storch – deutscher Klimaforscher, Leiter der MPI für Meteorologie, Professor an der Uni Hamburg, Institutsleiter am Helmholtz-Zentrum und Mitbegründer des Exzellenzclusters in Hamburg.
Diese Fakten benutzen einige Kritiker, um nachzuweisen, dass die Grundidee des IPCC auf Datenmanipulation beruht und, weil Hans von Storch nicht in Talkshows auftritt, dass er in der Wissenschaftscommunity mit seinen Positionen an den Rand gedrängt wird. Beispiel ist hier der Artikel „Das Elend des deutschen Klima-Journalismus“ oder auch die Kommentare von Rainer Rupp auf der „KenFM“-Seite. Diese Artikel wurden auch von einigen GenossInnen innerhalb und außerhalb der DKP verlinkt und als Grundlage der Kritik an „Fridays for Future“ oder der Klimawissenschaft an sich genommen.
Interessanterweise wird hier die Argumentation vor allem durch Weglassen von Informationen stringent gemacht. Was ist denn in den letzten 15 Jahren nach der Kritik von Hans von Storch in der Paläoklimaforschung passiert? In Augen der Autoren wahrscheinlich nichts. Oder es haben sich mehrere Forschungsgruppen darangemacht, mehr Proxyidaten zu sammeln, auszuwerten, in bessere Modelle zu geben, mit neuen Daten zu überprüfen. Proxydaten sind übrigens so was wie Baumringe, Eiskerne, Sedimentablagerungen und so weiter.
Genau das hat auch die Arbeitsgruppe von Hans von Storch am HZG, heute unter der Leitung von Eduardo Zorita, gemacht, genau die, die Mann Anfang der 2000er Jahre für seine Arbeit kritisiert haben.
Hans von Storch ist jetzt übrigens in Rente. Er wurde aber häufig in Talkshows eingeladen, als das Klimathema noch nicht so en vogue war. Er hat auch Bücher geschrieben, die viel diskutiert wurden. Heute gibt es neue Veröffentlichungen, die die Ergebnisse von Mann, bestätigen.
Gerade vereinfachte Kritik darf nicht Kriterium unseres Umgangs mit kritischer Wissenschaft werden. Niemand in der Wissenschaft geht davon aus, dass nur CO2 für den Klimawandel verantwortlich ist, und schließt Sonnenaktivität aus. Die planetarischen Grenzen müssen mit der Kritik der kapitalistischen Produktionsweise in Verbindung gebracht werden. Das werden wir heute auch noch in den Referaten hören und hoffentlich gemeinsam diskutieren.
Als Letztes möchte ich darauf eingehen, was denn heute eine fundierte Kritik der Naturwissenschaften und an der Wissenschaftslandschaft in der BRD/EU sein kann.
• Absolute Fokussierung auf Modelle
• Häufig wird davon ausgegangen, dass wir die Welt, die Prozesse, schon ausreichend verstanden haben, um eine Modell zu entwickeln, mit dem wir dann alle möglichen Entwicklungen erklären können. So gibt es eine lebendige, zum Teil hart geführte Auseinandersetzung zwischen dem messenden und modellierenden Teil der Umweltwissenschaft und auch Klimawissenschaft.
•Die Finanzierungslogik der Bundesregierung, aber auch der EU-Kommission, geht dabei immer mehr zu Gunsten der Modellierer
•Deutliche Verschiebung der Förderung zu „künstlichen Intelligenz“ „Maschinlearning“
•Das wissenschaftliche Arbeiten in prekären Verhältnissen führt natürlich auch dazu, dass man sich eher innerhalb der Ideen von Ausschreibung und Antragsinhalten bewegt und sich nicht mit extravaganten Ideen aus dem Fenster lehnt.
•In der Wissenschaft wie bei anderen Beschäftigungsverhältnissen muss gegen die Prekarisierung gekämpft werden.