Am 27. Juli explodierten in Leverkusen mehrere Tanks in einer Sondermüllverbrennungsanlage, die bis 2019 der Bayer AG gehörten. Die Leverkusener Feuerwehr setzte eine Warnung der Kategorie „Extreme Gefahr“ ab. Mehrere Arbeiter starben, Betreiber und Bezirksregierung weisen die Schuld von sich. UZ sprach mit Jan Pehrke von der „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ (CBG).
UZ: Welche Ausmaße hatte denn die Explosion in Leverkusen?
Jan Pehrke: Das war schon ein sehr großer Knall. Das Detonationsgeräusch war 40 Kilometer weit zu hören. Es stieg eine riesige Giftwolke auf. Es sind drei Tanklager in die Luft gegangen. Fünf Menschen sind bis jetzt gestorben, zwei werden immer noch vermisst, 31 wurden verletzt. In diesem Entsorgungszentrum arbeiten 50 bis 60 Menschen. Zwei Drittel der Belegschaft sind also in Mitleidenschaft gezogen worden. Neben Currenta-Beschäftigten gab es da Leute von Leiharbeitsfirmen. Da muss man fragen, ob die überhaupt eine Schulung erhalten haben. Die IG BCE hat zwar Beileidsbekundungen abgegeben, umarmt aber weiter die Chemieindustrie, statt für sichere Arbeitsplätze für ihre Mitglieder zu kämpfen. Das ist sehr enttäuschend.
Die ganze Bevölkerung war alarmiert. Es gingen zwei Zentimeter große Rußpartikel nieder von der Giftwolke und die Feuerwehr hat sofort gewarnt, man solle die ja nicht anfassen, weil man nicht weiß, was da drin ist. Die Stadt Leverkusen hat die Kinderspielplätze gesperrt, weil man Angst hatte, dass die Kinder sich damit vergiften. Zwischen 9 und 10 Uhr morgens war die Explosion und gegen halb eins hatte die Feuerwehr alles löschen können. Die Gefahr bestand bis zuletzt, dass das Feuer auf ein viertes Tanklager übergreift, das ebenfalls Lösungsmittel enthielt. Currenta hat mittlerweile den Behörden mitgeteilt, was in den Tanks drin war. Die Öffentlichkeit weiß davon immer noch nichts, geschweige, von welchen Firmen das alles kam.
UZ: Wie kann es sein, dass die größte Giftmülldeponie Europas sich in einem Wohngebiet befindet?
Jan Pehrke: Das ganze Chemiepark-Areal von Bayer war zuerst da und drum herum ist die Stadt gewachsen. Nach dem großen Chemieunglück in Seveso wurden die Richtlinien verschärft. Es wurde festgesetzt, dass es mindestens 1.500 Meter Abstand zwischen so gefährlich störanfälligen Anlagen und der Wohnbevölkerung geben muss. In Leverkusen sind die ersten Wohnsiedlungen rund 800 Meter entfernt und es werden neue gebaut.
UZ: Die Betreiberfirma Currenta, die früher zu Bayer gehörte, hat vor drei Jahren noch die Erlaubnis bekommen, die Brennöfen zu erweitern. Also hat man bewusst mit dem Risiko gespielt?
Jan Pehrke: Schon zu Bayer-Zeiten gab es 2010 einen Brand und 2009 einen Defekt bei der Abluftbehandlung im Werk. Bayer wollte aber aus Müll Geld machen, nachdem die Auflagen verschärft wurden. Früher hat man einfach den Giftmüll verbuddelt. Ab da ging es nicht mehr darum, möglichst wenig Müll zu produzieren, sondern der „Bayer-Industrial-Service“, später Currenta, haben Müll akquiriert. Die CBG konnte zum Beispiel mit anderen verhindern, dass Giftmüll aus Australien in die Öfen kommt.
Weil der Müll ein Geschäft ist und Currenta nie weiß, ob kurzfristig noch ein großer Auftrag reinkommt, wissen die nie, wie viel Sondermüll pro Tag anfällt. Deswegen mussten sie Zwischenlager schaffen, die Tanks, die jetzt explodiert sind. Die Tanks standen so dicht beieinander, dass es eine Kettenreaktion gab.
UZ: Also war es keine Überraschung, dass irgendwann so ein Unglück passiert?
Jan Pehrke: Nein. Eine Woche vor dieser großen Explosion gab es einen Stoffaustritt und schon Mitte Juni gab es weiteren Stoffaustritt, bei dem es zwei Verletzte gab. Dazu kommt, das es eine sehr alte Anlage ist. Den ersten Ofen hat Bayer 1967 und den zweiten 1976 gebaut. Der Bestand ist über 50 Jahre alt.
UZ: Von staatlicher Seite gab es da nie Beanstandungen?
Jan Pehrke: Die Aufsicht obliegt der Bezirksregierung. Die hat das Tanklager zuletzt im Januar 2016 inspiziert. In einer Stunde war die Sache für sie gegessen. Im April dieses Jahres hätte eine erneute Prüfung stattfinden sollen, aber das ging angeblich wegen Corona nicht. Die Bezirksregierung konnte nur per Internet mit den Ingenieuren sprechen. Die CBG kritisiert schon lange, dass die Bezirksregierung bei allen Sparten von Bayer, und was damit zu tun hat, nicht genau hinschaut. Zum Beispiel hat 2012 nicht die Bezirksregierung, sondern die US- amerikanische Gesundheitsbehörde FDA Alarm geschlagen, weil damals Rückstände einer Arznei in einer anderen gefunden worden waren. Daraufhin musste Bayer eine ganze Produktionsstraße schließen.
Störfälle
Auf ihrer Homepage dokumentiert die „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ Unfälle in den Bayer-Betrieben, wir haben einige wenige von deutschen Standorten ausgewählt. Komplett gibt es die Liste unter www.cbgnetwork.org.
18. April 2016
Im Wuppertaler Pharma-Betrieb von Bayer kam es zu einem Unfall. An einem Kanal-Schacht entstand eine Leckage, aus der eine größere Menge Abwasser in einen Fluss gelangte.
30. Mai 2018
Auf dem Gelände von Bayers Berliner Pharma-Standort im Stadtteil Wedding kam es zu einem Unfall. Es trat eine gefährliche Substanz aus, deren Dämpfe zwei Personen verletzten.
8. Januar 2019
Im Wuppertaler Bayer-Werk ereignete sich ein Störfall, bei dem eine größere Menge Chinolon-Carbon-Säure austrat. Nach Bayer-Angaben sollen 280 (!) Kilogramm des Stoffes ausgetreten sein. Der Gefahrstoff ist reizend und explosiv.
15. November 2019
Am Bayer-Standort Bitterfeld kam es zu einem Brand. Bei Dacharbeiten auf einem Hochregal-Lager hatten sich Dachplatten entzündet. Auf mehrere Kilometer Entfernung waren die Rauchschwaden zu sehen.
19. November 2019
In der Tankreinigungsstation des Dormagener Chemie-„Parks“ brach ein Brand aus. Bei der Säuberung eines Behältnisses fing ein Lösemittel Feuer. Fünf Beschäftigte mussten zur Untersuchung ins Krankenhaus.