Die USA halten an ihrer Hetzjagd auf Julian Assange fest. Das haben sie in der vergangenen Woche noch einmal eindrücklich klar gemacht. Seit zweieinhalb Jahren sitzt der Journalist und Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London in Auslieferungshaft. Er ist gesundheitlich schwer angeschlagen und für jeden halbwegs unvoreingenommenen Beobachter in einem schlechten Zustand – stark abgemagert und in jahrelanger Isolation dramatisch gealtert. Der 50-jährige Australier ist in den USA angeklagt wegen „Spionage“ und mit 175 Jahren Knast bedroht. Hintergrund sind Enthüllungen von Kriegsverbrechen, CIA-Folter und anderen geheim gehaltenen Vergehen der US-Regierung in den Jahren 2010 und 2011, teilweise in Kooperation mit großen Medien wie der „New York Times“, dem „Guardian“ und dem „Spiegel“. Im Berufungsverfahren fechten die USA aktuell die Entscheidung der britischen Bezirksrichterin Vanessa Baraitser vom Januar an, die mit Verweis auf die angegriffene Gesundheit Assanges und einen drohenden Suizid angesichts der zu erwartenden üblen Haftbedingungen in den USA das Auslieferungsersuchen abgelehnt hatte.
Der Anwalt der USA, James Lewis, behauptete in der Verhandlung in der vergangenen Woche vor dem Londoner High Court, die bisherige Entscheidung der britischen Justiz sei aufgrund falscher Annahmen getroffen worden. Insbesondere attackierten Washingtons Juristen ein psychiatrisches Gutachten, das die Erstinstanz zur Grundlage der Auslieferungsablehnung gemacht hatte. Dieses sei „irreführend“ gewesen, da Assanges Vaterschaft verschwiegen worden sei, was eine Selbstmordgefährdung deutlich relativieren würde. Noch dreister der Vorwurf gegen den in Isolationshaft Sitzenden, der nur per Videoschalte aus Belmarsh dem Prozess beiwohnen konnte, er sei ein Simulant: „Herr Assange hatte jeden Grund, bei seinen Symptomen zu übertreiben.“ Bezüglich der unterstellten drohenden Haftbedingungen hätten die USA mittlerweile zugesichert, so Lewis, keine „Spezialmethoden“ im Supermax-Hochsicherheitsgefängnis anzuwenden und gegebenenfalls auch einer Verlegung Assanges in ein Gefängnis in seinem Geburtsland Australien zuzustimmen.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) gibt nicht viel darauf. Kürzlich veröffentlichten Berichten von „Yahoo News“ zufolge plante der US-Geheimdienst, Assange zu entführen oder zu ermorden, als er sich in der Botschaft Ecuadors in London aufhielt. „Damit werden die diplomatischen Zusicherungen der US-Behörden, wonach Assange in den USA eine gute Behandlung erwartet, noch weniger glaubhaft“, so Amnesty. „Geben Sie das Auslieferungsverfahren auf“, appellierte AI-Generalsekretärin Agnès Callamard an die Regierungen der USA und Britanniens. „Ich mache mir große Sorgen um Julians Gesundheit“, sagte seine Verlobte und Mutter zweier gemeinsamer Kinder, Stella Moris, vor Beginn des Prozesses. „Ich hoffe, die Justiz wird diesen Alptraum beenden, sodass Julian nach Hause kommen kann und die Vernunft gewinnt.“ Eine Überstellung aus Belmarsh in die USA „würde Julian nicht überleben“. Rebecca Vincent von „Reporter ohne Grenzen“ stellte klar: „Julian Assange sollte nirgendwo im Gefängnis sitzen“, weder in London noch in den USA oder Australien. „Wenn die USA erfolgreich sind, wird das alarmierende Konsequenzen für die Pressefreiheit haben. Bei diesem Fall geht es nicht nur um Assange, sondern um das Recht aller Journalisten, ihre Arbeit zu tun, und um das Recht der Öffentlichkeit, sich zu informieren.“
Auch die Berliner Akademie der Künste setzt sich mittlerweile für Assange ein und fordert seine Freilassung. Gleichwohl erwartet Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel seine Auslieferung an die US-Justiz. Dies werde Konsequenzen haben für Journalisten weltweit und sei eine Schwächung „der vierten Gewalt“ sowie der Demokratie. „Wenn man so etwas erwarten muss, wenn man mutig genug die eigene Position vertritt – über Jahre hinweg – und dies droht, dann ist das eine Erosion der Demokratie.“ Deutliche Kritik übte sie an den politisch Verantwortlichen. Weder von US-Präsident Joseph Biden noch von der Bundesregierung werde Engagement gezeigt. „Wir erhoffen uns auch von einer demokratischen Regierung, dass sie sich gegen diese Form von Ungerechtigkeit stellt. Und das haben wir nicht erlebt. Und das ist sehr enttäuschend und sehr beunruhigend.“
Die Linke-Außenpolitikerin Sevim Dagdelen wertete es als „beschämend und bezeichnend, dass die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel sich nicht für die Freiheit und die Beendigung der rücksichtslosen Verfolgung dieses Dissidenten des Westens (…) öffentlich eingesetzt hat.“ Die neue Bundesregierung „sollte auf US-Präsident Joe Biden einwirken, das von seinem Amtsvorgänger begonnene Verfahren gegen Julian Assange zu beenden und die politisch motivierten Anklagen ein für alle Mal fallenzulassen“, so Dagdelen.
Auch der Menschenrechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Frank Schwabe, sprach sich gegen eine Auslieferung aus: „Julian Assange wird in den USA kein faires Verfahren bekommen. Deshalb ist die dringende Erwartung, dass die britische Justiz gegen eine Auslieferung entscheidet. Und im Übrigen alles tut, um den Gesundheitszustand von Julian Assange zu stabilisieren.“
Eine Entscheidung des Berufungsgerichts wird bis Weihnachten erwartet. Assange bleibt in Haft.