Kuba trotzt dem Wirtschaftskrieg der USA

Keine Sonderperiode

Von Volker Hermsdorf, Havanna

Estos no son días de fiesta (Dies sind keine Tage zum Feiern), war bis Ende Oktober oft in Havanna zu hören, seitdem die USA ihre seit 60 Jahren gegen das Land verhängte Blockade wieder einmal verschärft hatten. Die Lage wurde ernst, als Washington Kuba im September – durch Druck auf ausländische Reedereien – nahezu komplett von Treibstofflieferungen aus Venezuela abschnitt. „Wir werden die kubanische Wirtschaft erdrosseln“, erklärte Trumps „Sonderbeauftragter für Venezuela“, Elliot Abrams, das Ziel. Tatsächlich führten die jüngsten Sanktionen im September zu einer Energie- und Versorgungskrise, aus der Kuba mittlerweile jedoch gestärkt hervorgeht.

Politisch und moralisch gestärkt wurden das Land und die fortschrittlichen Bewegungen auf allen Kontinenten durch ein antiimperialistisches Welttreffen „für Solidarität, Demokratie und gegen den Neoliberalismus“, das vom 1. bis 3. November mit über 1 300 Delegierten aus 85 Ländern im Kongresspalast von Havanna stattfand. In einem Aktionsplan beschlossen die Teilnehmer unter anderem, im Jahr 2020 eine „Offensive der Völker für Demokratie und gegen Neoliberalismus“ zu starten. Dazu soll in der letzten Mai-Woche 2020 weltweit unter dem Motto „Genug mit Trump, Nein zum Imperialismus, Ja zum Leben“ (No más Trump, No al Imperialismo, Sí a la Vida) mobilisiert werden. Weitere Themen der Konferenz, an deren Abschlussveranstaltung unter anderem der Erste Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas, Raúl Castro, Präsident Miguel Díaz-Canel und Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro teilnahmen, waren Solidarität mit Kuba, Venezuela und Nicaragua sowie dem von gewalttätigen Putschisten bedrohten, gerade wiedergewählten Präsidenten Boliviens, Evo Morales. Während Brasiliens faschistischer Machthaber Jair Bolsonaro sich bei der UN-Abstimmung zur US-Blockade am 7. November demonstrativ auf die Seite der USA und Israels schlug, hatten die Delegierten der antiimperialistischen Tagung zuvor in Havanna die Freilassung des inhaftierten Ex-Präsidenten Ignacio Lula Da Silva gefordert und ihre Unterstützung für den Kampf der Völker Chiles und Puerto Ricos erklärt.

Seit Anfang November hat sich die Situation in Havanna spürbar entspannt. Wartende Autos vor den Tankstellen sieht man jetzt seltener, der öffentliche Nahverkehr mit Linienbussen sowie den von Kooperativen betriebenen günstigen Metro-Taxis und „Ruteros“ funktioniert fast besser als zuvor. Dazu trugen auch die an vielen Straßen postierten Polizisten bei, die Fahrzeuge staatlicher Betriebe und Verwaltungen anhalten und auffordern, Fahrgäste mitzunehmen. Auch die Versorgung mit Strom, Wasser und Lebensmitteln ist wieder gesichert. Während die Washington zuarbeitenden Contras im US-Propagandasender „Radio Martí“ oder der vom US-Dienst NED (National Endownment for Democracy, Nationalstiftung für Demokratie) finanzierten, in Madrid veröffentlichten Online-Zeitung „Diario de Cuba“ noch immer das Schreckgespenst einer „neuen Sonderperiode“ an die Wand malen und Fotos von leeren, verrosteten Regalen verbreiten, sind die Geschäfte längst wieder mit Lebensmitteln und Konsumgütern gefüllt worden. Die Einsparmaßnahmen der kubanischen Regierung und die eingeleitete Umstellung auf alternative Energieerzeugung zeigen Wirkung. Viele Geschäfte schließen jetzt etwas früher, wo es möglich ist, arbeiten Angestellte von zu Hause und die Klimaanlagen werden nur noch zeitweise eingeschaltet oder laufen gedrosselt. „Die Menschen haben in der jüngsten Krise gemerkt, dass ihre Lebensqualität nicht wesentlich sinkt, wenn sie weniger Energie, Wasser und Treibstoff verbrauchen“, sagt Touristikmanagerin Luisa Fernández im Gespräch. Sie hofft, dass sich der Lernprozess weiter positiv auswirkt. Auch die Unterstützung aus China, Russland und anderen Ländern mildert die Folgen der Blockade etwas ab.

Mittlerweile bereitet Havanna sich auf die Feiern zum 500. Gründungstag der Stadt am 16. November vor. Zahlreiche Gebäude erhalten den letzten Schliff, etliche Straßen im Zentrum werden frisch asphaltiert, Parks und Grünflächen gesäubert und in vielen Stadtteilen Kioske aufgebaut. Dutzende Arbeitsbrigaden polieren die Stadt rund um die Uhr für die Feierlichkeiten auf Hochglanz und an den Wochenenden feiern Junge und Alte am Malecón zu Salsa-Klängen. „Ahora ya estamos de fiesta“ (Jetzt feiern wir), heißt es derzeit in Havanna. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie das sozialistische Kuba ohne die längste, umfassendste und brutalste Blockade in der Weltgeschichte aussehen könnte. Der frühere Präsident Ecuadors, Rafael Correa, brachte das mit der Feststellung auf den Punkt: „Die ökonomischen Probleme Kubas damit zu erklären, dass sein Wirtschaftsmodell gescheitert sei, ist genauso absurd, wie zu behaupten, dass jemand, dessen Füße im Boden eines Schwimmbads einzementiert wurden, deshalb ertrinkt, weil er nicht schwimmen kann.“

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"Keine Sonderperiode", UZ vom 15. November 2019



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