Der „Deutsche Städtetag“ wird von den gleichen Parteien dominiert, die auch die Städte beherrschen: von SPD, CDU und vereinzelten Grünen. Ein Hort des Fortschritts? – Wohl kaum! Dennoch kommt man nicht umhin, von seinem Treiben Notiz zu nehmen. Im Widerstand gegen die sogenannten „Freihandelsabkommen“ TTIP und CETA stand der Städtetag an der Seite der Gewerkschaften. Er lehnte diese Abkommen ab, wehrte sich gegen die Privatisierung des ÖPNV und informiert stets offensiv über die Finanzlage der Städte. Aktuell setzt sich der Städtetag für die Besteuerung von Online-Handelsriesen und für den Erhalt der kommunalen Handlungsfähigkeit in der Krise ein. „Wir müssen verhindern, dass in Zukunft in vielen Städten der Rotstift regiert“, heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung.
Diese Positionen sind Ausdruck eines Kampfes, der den Kommunen seit Jahren mit steigender Intensität aufgezwungen wird: die Verteidigung der kommunalen Selbstverwaltung und Daseinsvorsorge. Die Selbstverwaltung ist ein Stachel im Fleisch des in Berlin und Brüssel vertretenen Monopolkapitals. Für die EU gilt sie sowieso als profitschmälerndes „Investitionshindernis“. Besonders dann, wenn Kommunen ihren Bürgern lieber bezahlbaren Strom verkaufen und Bustrassen selbst bedienen, statt dies geschäftstüchtigen Konzernen zu überlassen. Oder dann, wenn kommunale Gelder und Flächen für soziale, ökologische und kulturelle Fortschritte eingesetzt werden. Die Reichen brauchen keine öffentlichen Schwimmbäder, keine Parks und Sportanlagen – sie haben ihre eigenen. Kein Wunder also, dass die Mitteilungen des Städtetags auch in linken Kreisen Beachtung finden.
Wie sehr diese Auseinandersetzungen in der aktuellen Krise an Schärfe gewinnen, ließ sich kürzlich auf der Ratsmitgliederkonferenz des nordrhein-westfälischen Städtetags beobachten. Dort kam es zu einer bemerkenswerten Aussprache zwischen der NRW-„Heimatministerin“ Ina Scharrenbach (CDU) und den anwesenden Ratsmitgliedern. Natürlich wurde häufig der Wunsch nach „guter und enger Zusammenarbeit“ betont, eine Floskel, die fest zum bürgerlichen Politzirkus gehört und schon in dem Moment vergessen werden darf, in dem sie geäußert wird. Doch jenseits der Inszenierung zeigte sich die tiefe Kluft zwischen Städten und Landesregierung. Zunächst ging es um die Stadtfinanzen. Der NRW-Plan zur Finanzierung der Krise: Die Kommunen sollen alle Corona-Schäden in einem Sonderposten isolieren. „Schattenhaushalt“ sagen die Kritiker, „Ingangsetzungsaufwandsaktivierung“ sagt die Ministerin.
Diese Kosten sollen ab dem Jahr 2025 über 50 Jahre abgeschrieben werden. Ein Ratsmitglied fragte, ob die Krise so auf die kommenden Generationen umgelegt wird. „Ja, das ist so. Das macht der Bund nicht anders“, antwortete die Ministerin. Schulterzucken, nächste Frage. Schnell wurde klar: Die Landesregierung würde keine Anstalten machen, sich vor den Kommunen zu rechtfertigen. Auf die Frage, welche Perspektiven den überschuldeten Notstandskommunen nach der Krise eröffnet würden, folgte die kreative Antwort: „Zu erklären, warum man das, was man machen muss, nicht machen kann, ist eine Herausforderung für das Ehrenamt.“ Aha.
Die meisten der mehr als 100 Delegierten wollten sich nicht mit ihrer Rolle als Notstandserklärer abfinden. Es folgten kritische Anmerkungen, etwa zum Schulchaos und zur verpassten Digitalisierung des Unterrichts. „Sie sind diejenigen, die das entscheiden“, entgegnete die Ministerin und sah in der (mangelhaften) Schulausstattung auch einen „Ausdruck der kommunalen Selbstverwaltung“. Wenn es um Schuld oder Versagen geht, dann kommt die Selbstverwaltung gerade recht.Die versteckte Pointe: Erst kurz zuvor hatte die Landesregierung den Städten Solingen und Bielefeld ausdrücklich verboten, den Schultag durch Digitalisierung und Einführung eines Wechselunterrichtes sicherer zu gestalten.
Beendet wurde das Gespräch durch den mehrfach geäußerten Wunsch nach „guter und enger Zusammenarbeit“. Auch diese Floskel gehört fest zum bürgerlichen Politzirkus. Die wenig überraschende Erkenntnis des Tages: Die Kooperation der Städte kann den Kampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten bündeln und mit wichtigen Informationen versorgen. Geführt werden aber muss er vor Ort. Im Diskutierzimmer mit den Landesregierungen sind weder Lösungen noch Antworten zu erwarten. Um diese Erkenntnis kann sich eigentlich niemand drücken, der wachen Verstandes hört, was die Minister sagen, wenn man sie lässt.
Überhaupt schien in NRW alles bestens zu laufen, wenn man der Ministerin zuhörte. Was ihr zum Glück noch fehlte, sei jedoch „Geschlossenheit in der Argumentation“. Später fügte sie in leicht drohendem Unterton hinzu: „Wir nehmen Sie auch in die Verantwortung.“