Keine neue Epoche seit 1990/91

Von Eike Kopf

Zum Leitantrag argumentieren Pa­trik Köbele und Hans-Peter Brenner am 11.8.2017 in einem einführenden Kommentar u. a. zu Frank Deppe. An dessen strategischer Ausgangsposition „einer ‚Epoche des krisenhaften Interregnums’ – also einer Übergangsherrschaft – bemängeln sie: „ … (es) müsste die Frage nach dem Charakter der Triebkräfte aufgeworfen werden, die hinter diesem Interregnum stecken. Also eben das, was wir mit der Analyse der Etappen des Imperialismus tun.“ Es gehe dem Leitantrag dagegen „um die Skizzierung eines möglichen dynamischen Prozesses, der innerhalb einer langfristigen Strategie…; der in Übergängen zur sozialistischen Alternative und zum grundsätzlichen Bruch mit dem Kapitalismus münden soll. …

Dies unterscheidet uns deutlich, bei manchen Gemeinsamkeiten in der aktuellen Analyse, von der Hoffnung dieser erwähnten Autoren in eine ‚Transformation’ des Kapitalismus.“

Meiner Erkenntnis nach sollte der Ausgangspunkt unserer Strategiediskussion die Tatsache sein, dass wir 2017 den 500. Jahrestag des Beginns der Reformation als der ersten, 1525 niedergeschlagenen frühbürgerlichen Revolution der Menschheitsgeschichte und mit dem 100. Jahrestag der Oktoberrevolution als der ersten siegreichen sozialistischen Revolution die Einleitung der welthistorischen Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus zu verzeichnen haben. Diese historischen Tatsachen wurden auch nicht durch die dem Wesen der Sache und den Resultaten nach konterrevolutionäre Preisgabe realer sozialistischer Errungenschaften (vor allem der politischen Macht) von 1989 – 1991 beseitigt.

Seit Mitte 1917 befanden sich die bolschewistischen russischen Sozialdemokraten in einer Lage, die der ähnelte, wie sie Friedrich Engels Mitte 1850, also nach der Niederlage der Revolution von 1848, so beschrieben hatte: „Es ist das Schlimmste, was dem Führer einer extremen Partei widerfahren kann, wenn er gezwungen wird, in einer Epoche die Regierung zu übernehmen, wo die Bewegung noch nicht reif ist für die Herrschaft der Klasse, die er vertritt, und für die Durchführung der Maßregeln, die die Herrschaft dieser Klasse erfordert. Was er tun kann, hängt nicht von seinem Willen ab, sondern von der Höhe, auf die der Gegensatz der verschiedenen Klassen getrieben ist, und von dem Entwicklungsgrad der materiellen Existenzbedingungen, der Produktions- und Verkehrsverhältnisse, auf dem der jedesmalige Entwicklungsgrad der Klassengegensätze beruht. Was er tun soll, was seine eigne Partei von ihm verlangt, hängt wieder nicht von ihm ab, aber auch nicht von dem Entwicklungsgrad des Klassenkampfs und seiner Bedingungen; … Er findet sich so notwendigerweise in einem unlösbaren Dilemma.“

Beispiel Lenin: Er hoffte stark auf die Unterstützung durch westeuropäische Revolutionen. Als aber deutlich wurde, dass diese noch nicht kommen, sah er realistisch, dass mit der „Neuen Ökonomischen Politik – NÖP“ Neuland begangen werden musste.

Die konterrevolutionäre Preisgabe sozialistischer Errungenschaften betraf in Asien und Europa bis 1991 durch die Auflösung der UdSSR 422 Millionen Einwohner. Allein in der Volksrepublik China leben 1350 Millionen Menschen, nach einer einheitlichen Gesellschaftskonzeption geführt von einer 90 Millionen Mitglieder zählenden Kommunistischen Partei. In deren Führung setzte sich nach intensiven inneren Auseinandersetzungen 1978 die Auffassung durch, dass sich die 1949 konstituierte Volksrepublik ein Jahrhundert lang, also bis 2049, im Anfangsstadium des Sozialismus befinden werde.

Bis 2021, dem 100. Gründungstag der KPC, soll im Land eine Gesellschaft mit durchschnittlich bescheidenem Wohlstand geschaffen worden sein. Diese lang- und mittelfristige Planung wird durch Fünfjahrespläne und Jahrespläne der volkswirtschaftlichen und übrigen gesellschaftlichen Entwicklung untersetzt. Volks- und Hochschulbildung, Sozialwesen, Entwicklung von modernen Produktivkräften, vor allem Produktions- und Verkehrsanlagen, Entwicklung von erneuerbaren Energien, Schutz und Rekultivierung der Umwelt, Diplomatie und Landesverteidigung usw. werden planmäßig und bewusst entwickelt. Die VR China spielt eine zunehmend wichtige positive Rolle in internationaler wirtschaftlicher und politischer Hinsicht. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts hat sie sich von der fünft- zur zweitstärksten Wirtschaftsmacht der Erde entwickelt. Auch in der Russischen Föderation und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken können sich die bis 1991 in sozialistischen Gesellschaftszuständen mit gegenseitiger Unterstützung geschaffenen Errungenschaften dem realen Inhalt bzw. der Substanz nach nicht plötzlich in Nichts auflösen.

Ich kann angesichts dieser angedeuteten Tatsachen beim besten Willen nicht verstehen, wenn gelegentlich – nicht im vorliegenden Entwurf – behauptet wird, 1990/91 habe eine neue Epoche begonnen; und wir müssten nun einen „richtigen“ Sozialismus des 21. Jahrhunderts – aber nicht unter Nutzung der einschlägigen Hinweise von Marx, Engels und Lenin – schaffen.

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"Keine neue Epoche seit 1990/91", UZ vom 29. September 2017



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