Colm Tóibíns Roman über Thomas Mann

Keine moralische Instanz

Der Ire Colm Tóibín hat einen umfassenden Thomas-Mann-Roman vorgelegt. Er lässt Manns Welt entstehen, wird der Zeit gerecht und sieht Thomas Mann nicht bedenkenlos unkritisch. Heinrich Mann wird im Roman zu einer interessanten Figur, auch zu einer anerkannten moralischen Instanz. „Heinrichs Artikel begann mit der Behauptung, so etwas wie einen Sieg gebe es im Krieg nicht. Es gebe nur Opfer, nur Tote und Verwundete.“ Ganz anders Bruder Thomas, schreibt Tóibín, für den es Trost bedeutete, „Teil einer Bewegung zu sein, zu der Arbeiter ebenso wie Geschäftsleute gehörten, und Menschen aus allen Teilen Deutschlands.“ In dieser Gegenüberstellung von Meinungen ergreift Tóibín nicht unbedingt für Thomas Partei.

In München war Heinrich Teil der Bewegung, die von sozialistischen und kommunistischen Schriftstellern wie Kurt Eisner, Ernst Toller und Erich Mühsam unterstützt und angeführt wurde und zur Gründung der Münchner Räterepublik führte. Tóibín widmet sich diesen unruhigen Tagen und zeigt die Haltung der antirevolutionären, bürgerlichen Familie Thomas Mann in dieser Zeit.

Als der Ministerpräsident des bayrischen Freistaates, Kurt Eisner, nach 100 Tagen im Amt ermordet wurde, hielt Heinrich Mann bei der Gedenkfeier die Trauerrede. „Thomas brauchte eine Weile, um zu akzeptieren, dass es in München eine neue, funktionierende Regierung gab, und dass sie aus Dichtern, Träumern und Freunden von Heinrich bestand. Er fand es tröstlich, dass entsprechende Aufstände offenbar in keiner anderen deutschen Großstadt erfolgreich gewesen waren.“ Tóibíns leicht ironischer Ton verdeutlicht erneut, dass er diese Meinung Manns nicht unbedingt teilt und Leser zum eigenen Nachdenken auffordert.

In jenen Tagen wird Thomas von einem Abgesandten dieser Regierung informiert: „,Sie standen auf der Liste derjenigen, die festgenommen werden sollten‘, sagte er. ‚Ich war dabei, als die Liste verlesen wurde. Und zwei der führenden Köpfe beharrten darauf, dass Ihr Name herausgenommen werden sollte. Einer war Erich Mühsam und der andere war Ernst Toller. Toller sprach sehr beredt von Ihren Verdiensten.’“

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Mühsam und Toller spielen in Tóibíns Buch eine wichtige Rolle, vor allem das grausame Schicksal von Mühsam, der in einem Konzentrationslager barbarisch gefoltert und getötet wurde. Thomas Mann wird zum Eingreifen in die Rettung Mühsams angerufen. „,Es gibt einen Grund, warum ich Sie allein sprechen wollte‘, sagte Toller. Er wirkte noch nervöser als zuvor. Thomas fragte sich, ob er ihn um einen hohen Geldbetrag bitten wollte. ‚Erich Mühsam wird von den Nazis festgehalten. Sie haben ihn in der Nacht des Reichstagsbrands verhaftet. Ich weiß, dass er gefoltert wurde.‘ (….) Als er allein in seinem Zimmer saß, kam ihm der Gedanke, dass er die Öffentlichkeit, vielleicht sogar die amerikanische, zwar durchaus für Mühsams Fall interessieren könnte, aber damit seine Lage vielleicht sogar noch verschlimmern würde. Vielleicht würde es doch besser sein, nichts zu unternehmen.“ Wieder wird Manns Haltung ironisiert, nicht verteidigt.

Während Manns Exil in den USA wird immer wieder an ihn appelliert, deutschen Schriftstellern zu helfen. Heinrich, Klaus und Erika Mann erwarten, dass er die USA zum Kriegseintritt auffordert. Tóibín beschreibt sowohl Manns Gewissensqualen als auch andeutungsweise, wie sich seine Meinung zum Faschismus in seinem Werk niederschlägt.

Sorgen um Staatsbürgerschaft beherrschen die Familie nach der Ausreise aus Deutschland. Erika geht eine Scheinehe mit W. H. Auden ein. Durch diese Konstellation trifft Auden die Familie Mann in Princeton. Tóibín scheinen Auden, sein Freund Isherwood sowie Virginia Woolf unsympathisch zu sein oder er sieht die Szene als Gelegenheit für Komik. Biografen zufolge unterhielten Manns ein sehr herzliches Verhältnis zu Auden. Und entgegen der Darstellung Tóibíns stand Virginia Woolf politisch nicht abseits, sondern unterstützte die Spanische Republik während des Bürgerkriegs und war auch an der Kampagne zur Verleihung des Friedensnobelpreises an Carl von Ossietzky beteiligt.

Historisch wahrheitsgetreu ist hingegen Tóibíns Beschreibung der Beobachtung und Befragung der Familie Mann durch das FBI, das Erika zu Personen verhörte, „die vor 1933 in Deutschland in der antifaschistischen Bewegung aktiv gewesen waren“. Zu Thomas kommen sie, „um Erkundigungen über Bertolt Brecht und seinen Umkreis einzuziehen“.

Die US-Geheimdienste schalten sich auch ein, als Mann nach dem Krieg Deutschland besucht: „,(Ich) bin hier, um Ihnen mitzuteilen, dass wir es begrüßen werden, wenn Sie nicht in die Sowjetzone reisen.‘ (…)‚Wenn Sie es dennoch tun, wird Ihnen Amerika bei Ihrer Rückkehr einen kalten Empfang bereiten.‘“ Mann widersetzt sich dieser Drohung und geht nach Weimar. Nun ist er in den USA persona non grata. Unerwünscht in den USA, zogen Katia und er in die Schweiz, wo sie bis an ihr Lebensende weilten. Sie zogen nie wieder dauerhaft nach Deutschland zurück.

Colm Tóibíns Roman weckt Interesse an Leben und Werk Thomas Manns.

Colm Tóibín: Der Zauberer
Aus dem Englischen von Giovanni Bandini
Carl Hanser Verlag 2021, 28,- Euro

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"Keine moralische Instanz", UZ vom 4. Februar 2022



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