Angriffe auf Arbeiterrechte in Britannien angekündigt, Gewerkschaften versprechen Generalstreik

Keine leeren Drohungen

Liz Truss, Kandidatin für den Chefposten der Tories und damit mögliche neue britische Premierministerin, hat angekündigt, die „Macht der Gewerkschaften brechen“ zu wollen. Kein Wunder, könnte man meinen, schließlich ist ihr erklärtes Vorbild niemand anderes als Margaret Thatcher, also die Frau, die Kinder von streikenden Bergarbeitern von den Schulspeisungen ausgeschlossen hat, um den Streik zu brechen.

Die britische Regierung weigert sich derzeit, an Gesprächen über den Arbeitskampf der britischen Eisenbahner teilzunehmen und hat sich klar auf die Seite der Unternehmer gestellt. Verkehrsminister Grant Shapps verurteilte den Arbeitskampf als „militant“ und will streikgeschädigten Unternehmen ermöglichen, kurzfristig günstige Zeitarbeitskräfte anzuheuern – Streikbrechen soll damit gesetzlich erleichtert werden. Die Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbands Trade Union Congress (TUC), Frances O’Grady, verurteilte die Ankündigung der Regierung als Angriff auf die grundlegenden Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter in Britannien.

Für den Fall, dass die Regierung ihre Drohungen wahr machen sollte, kündigte der Generalsekretär der Transportarbeitergewerkschaft National Union of Rail, Maritime and Transport Workers (RMT), Mick Lynch, einen Generalstreik an: Es werde „den größten Widerstand der gesamten Gewerkschaftsbewegung in der Geschichte geben“.

Die RMT und die Lokführergewerkschaft Aslef haben wiederholt zu Streiks beim staatlichen Streckenbetreiber Network Rail und bei mehreren privaten Bahnanbietern, darunter auch der Londoner U-Bahn, aufgerufen. Ziel sind höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und die Sicherheit der Arbeitsplätze. Am Mittwoch vergangener Woche legten 40.000 Beschäftigte die Arbeit nieder. Am letzten Samstag waren die Lokführer zum Ausstand aufgerufen, 5.500 traten in den Streik und legten sowohl Fernstrecken als auch Nahverkehrsverbindungen, zum Beispiel in London, lahm – und das ausgerechnet am ersten Spieltag der Premier League.
Der Chef von Network Rail, Andrew Haines, hatte am Mittwoch vergangener Woche beim Sender „Channel 4“ zugegeben, dass es sich bei dem bisherigen Angebot an RMT (8 Prozent mehr Gehalt über zwei Jahre) in Wahrheit um einen weiteren Einschnitt bei den Gehältern handelt. Auf die Frage, ob es sich bei dem Angebot um eine faktische Lohnkürzung handele, sagte er: „Es ist eine. Ich werde nicht so tun, als wäre es keine.“ RMT-Generalsekretär Lynch kommentierte gegenüber dem Sender, das Angebot von Network Rail sei „nicht mal in der Nähe von gut genug“. Von den privaten Bahnbetreibern habe es gar kein Angebot gegeben.

Doch nicht nur Tories und Bahnbetreiber bringen die britischen Gewerkschafter gerade zur Weißglut. Auch die sozialdemokratische Labour-Party denkt offensichtlich nicht im Traum daran, Solidarität mit den Streikenden zu üben, zumindest was die Führungsebene angeht.

Keir Starmer, Vorsitzender der Labour-Party, hat in der letzten Woche Sam Tarry, seinen Schattenminister für Transportwesen, entlassen. In Britannien bildet die Opposition traditionell eine Schattenregierung, in der alle Ministerposten besetzt sind. Tarry wurde entlassen, weil er am Mittwoch vergangener Woche Streikposten der Bahnarbeiter besuchte und Fernsehinterviews gab, anscheinend ohne dies vorher von der Parteiführung genehmigen zu lassen. Starmer begründete die Entlassung damit, dass Auftritte des Spitzenpersonals abgesprochen sein müssten. Es sei „sehr wichtig, dass wir das verantwortlich handhaben, denn wir wollen eine Wahl gewinnen“, so Starmer. Denjenigen die Solidarität zu entziehen, die für eine Entlohnung kämpfen, die es ihnen möglich macht, auch in der Inflation zu überleben, ist für die britischen Sozialdemokraten sicherlich kein kluger Wahlkampf-Schachzug gewesen. Und die Ankündigung eines Generalstreiks durch Mick Lynch ist keine leere Drohung. Mitarbeiter des Nationalen Gesundheitsdienstes NHS diskutieren, für bessere Arbeitsbedingungen, mehr Personal und höhere Löhne in den Streik treten zu wollen. Weitere Branchengewerkschaften kündigten ebenfalls Streiks für den Spätsommer an.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Keine leeren Drohungen", UZ vom 5. August 2022



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Stern.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit