Kurz vor ihrem 50. Gründungstag entfesselten die 19 Mitgliedsländer der North Atlantic Treaty Organization, der NATO, am 24. März 1999 einen Angriffskrieg gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien. 78 Tage lang zerstörten ihre Kampfflugzeuge zivile und militärische Einrichtungen, darunter mehrere Chemiefabriken, warfen Streubomben und feuerten Geschosse aus abgereichertem Uran ab – ein Akt des Staatsterrorismus. 15 Jahre später räumte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) den Völkerrechtsbruch ein: „Da haben wir unsere Flugzeuge (…) nach Serbien geschickt, und die haben zusammen mit der NATO einen souveränen Staat gebombt – ohne dass es einen Sicherheitsratsbeschluss gegeben hätte.“ Schröder, der als wichtigstes Ergebnis seiner Amtszeit von 1998 bis 2005 die „Enttabuisierung des Militärischen“ bezeichnete, sah 2014 zugleich EU und NATO für den Putsch in Kiew mitverantwortlich. Sein Nachfolger Olaf Scholz und dessen Außenministerin Annalena Baerbock sehen das völlig anders: Sie können im Krieg von 1999 keinen Bruch des Völkerrechts erkennen.
Die NATO im Ukraine-Krieg
Gegenwärtig steht die NATO mit mittlerweile 32 Mitgliedstaaten vor ihrem 75. Jubiläum und lässt in der Ukraine von der Armee Kiews einen Stellvertreterkrieg führen, der mit Unterstützung von faschistischen Bataillonen durch das Militärbündnis im Frühjahr 2014 als „antiterroristische Operation“ gegen den Aufstand im russischsprachigen Donbass begann. Bis zum Eingreifen russischer Streitkräfte in der Ukraine am 24. Februar 2022 fielen diesem Krieg nach UN-Angaben etwa 13.000 Menschen zum Opfer, die meisten waren Zivilisten der zunächst um Autonomie kämpfenden Gebiete. In westlichen Medien fanden weder die mehr als 2.500 Opfer des NATO-Bombardements von 1999 Beachtung noch dieser Krieg und seine Toten. Er ist der längste in Europa seit vielen Jahren. Sein Verschweigen war die Voraussetzung, um in der Bevölkerung Westeuropas 2022 eine Welle rassistischer Russlandhetze loszutreten und den Widerstand gegen den reaktionär-militaristischen Staatsumbau oder gar gegen den Krieg zu schwächen. Die Tatsache, dass im Frühjahr 2022 Verhandlungen über einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine zu einem weitgehend unterschriftsreifen Abkommen führten, wurde im Westen zunächst geleugnet und als russische Propaganda abgetan, dann aber nach Bestätigung durch Dokumente unter den Teppich gekehrt. Der Westen verhinderte, dass Kiew das Abkommen unterschrieb und versprach im Machtrausch, alles für den Sieg Nötige an Waffen und Munition zu liefern. Damit änderte sich der Charakter dieses Krieges. Vonseiten der Donbass-Republiken war er von Anfang an ein Verteidigungskrieg, vonseiten Russlands formal ein Völkerrechtsbruch und zugleich ein Akt der Notwehr, da die Aufnahme der Ukraine in die NATO drohte und damit – wie schon in Polen und Rumänien – die Stationierung von Raketen. In der Ukraine hätten sie unmittelbar die Existenz Russlands bedroht. Zudem intensivierte Kiew im Februar 2022 den Beschuss von Wohnvierteln in der Ostukraine in einem Maß, das aus Sicht der Donbass-Republiken und der Moskaus nicht hinnehmbar war.
Eine entscheidende Zäsur
Der Krieg von 1999 war das Vorspiel für mehrere illegale, weil völkerrechtswidrige Aggressionen des Westens und der NATO: Afghanistan, Irak, aber auch das illegale Eingreifen in Syrien, wo bis heute US-Truppen stationiert sind, die Völkerrechtsbrüche des NATO-Mitglieds Türkei in Syrien und im Irak sowie schließlich der vor allem von den USA und der BRD gedeckte Genozid des NATO-Partners Israels in Gaza sind nur einige Stationen. Als „einzige Supermacht“ nach dem Ende der Sowjetunion übernahmen die USA die Rolle des Weltpolizisten. Das stärkte einerseits die Rolle der NATO in der Globalstrategie Washingtons, relativierte aber auch zugleich ihre Bedeutung für die USA. Der Krieg von 1999 öffnete politisch die Tür, durch die Russland 2022 beim Einmarsch in die Ukraine ging. Die russische Aktion ist eine Reaktion auf die Kriege des US-Weltgendarmen seit 1991 und die darin inbegriffene, von Russland-Kennern wie George F. Kennan schon 1997 als verhängnisvollster Fehler seit dem Ende der Sowjetunion scharf kritisierte NATO-Ostexpansion. Hinzu kommt: Im Februar 2008 stimmte die Mehrheit der 19 NATO-Mitgliedsländer für die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo und schuf damit einen Präzedenzfall: Die „Wertegemeinschaft“ erkannte die von ihr selbst mit Gewalt geschaffenen neuen Grenzen an. Das war erstmalig in der Geschichte Europas nach 1945, was etwa die Bundesregierung nicht daran hindert, den Tatbestand selbst zu leugnen.
Der völkerrechtswidrige Krieg von 1999 und die Anerkennung seiner Resultate waren eine entscheidende Zäsur in den internationalen Beziehungen und hinsichtlich der Respektierung des Völkerrechts. Die NATO ist seitdem ein Kriegführungspakt, der den Völkerrechtsnihilismus zum festen Bestandteil seines imperialistischen Programms erhoben hat. Die Erfindung der „regelbasierten Ordnung“, in der sich angeblich „demokratische“ und „autoritäre“ Regierungen weltweit gegenüberstehen, ist Teil der propagandistischen Kriegsführung. Von 1999 führt eine gerade Linie zum heutigen Stellvertreterkrieg in der Ukraine. Inzwischen wird über Waffen für Kiew diskutiert, die Moskau erreichen und damit die russische Führung beseitigen können – also über strategische Waffen, wie der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat am 27. Februar im „Deutschlandfunk“ anmerkte. Zugleich bindet die NATO mit Südkorea, Japan und Australien Staaten im pazifischen Raum an sich und sucht im Gefolge der USA die Konfrontation mit der VR China. Der Krieg gegen Russland hat in den NATO-Staaten einen Kriegs-Keynesianismus hervorgebracht, der die staatsmonopolistische Verschmelzung von Rüstungsindustrie und Staat beschleunigt, Profite und Aktienkurse der Waffenindustrie verdoppelt und verdreifacht hat und dafür sorgt, dass die Kosten der Aufrüstung auf die Bevölkerung abgewälzt werden.
Nie ein Verteidigungsbündnis
Die NATO hat sich zur Kenntlichkeit verändert. Sie war nie das Verteidigungsbündnis, als das sie sich offiziell gibt. Formal stützt sich diese Behauptung auf Artikel 5 des Nordatlantikvertrags. Die zwölf Gründerstaaten – die USA und Kanada sowie die europäischen Staaten Belgien, Britannien, Dänemark, Frankreich (damals einschließlich der Kolonie Algerien), Island, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen und das faschistische Portugal – vereinbarten 1949, dass „ein bewaffneter Angriff gegen mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff auf alle angesehen werden wird“. Die NATO-Mitglieder verpflichteten sich, in einem solchen Fall einander Beistand zu leisten. Als Vorlage diente auch offiziell der Interamerikanische Vertrag über gegenseitigen Beistand. Dieser Pakt wurde 1947 auf Initiative Washingtons im brasilianischen Rio de Janeiro geschlossen und trat 1948 in Kraft. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) dient der Verwirklichung des Vertrags mit einer Sicherheitszone von der Beringstraße bis zum Südpol. Die OAS hat sich seitdem als Instrument zur Sicherung der US-Dominanz in Nord- und Südamerika und zur Verwirklichung der Monroe-Doktrin von 1823 bewährt. Diesem Muster folgt die NATO: Die Mitgliedstaaten sind macht- und militärpolitisch völlig vom Imperium, den USA, abhängig. Die Festlegung, die Westeuropäer könnten Nordamerika verteidigen, darf als Witz gelten. Höchster NATO-Militär, wurde festgelegt, muss stets ein US-General sein. Das besagt: Es geht um eine „Pax Americana“, um die uneingeschränkte Kontrolle Washingtons über die sogenannten Bündnispartner. Die Mitgliedstaaten verzichten auf Teile ihrer Souveränität und erhalten im Gegenzug eine Sicherheitsgarantie durch die strategische Atomstreitmacht der USA. Diese besitzen laut statista.com (Januar 2023) 5.264 Atomsprengköpfe (Russland 5.889, die VR China 410, Frankreich 290, Britannien 225, Pakistan 170, Indien 164, Israel 90, DVRK 30).
Klientelstaaten der USA
Das auf bis zu 1.000 Militärbasen rund um den Globus gestützte US-Dasein als Weltpolizist hat aber für die NATO Folgen. Beispiel Donald Trump: Er deutet immer wieder an, dass die Westeuropäer für ihn Verhandlungsmasse sind, sonst nichts. Das ist die Perspektive des Kalten Krieges: Die europäischen Staaten und vornehmlich die BRD waren von den USA als Schlachtfeld einer atomaren Auseinandersetzung mit der Sowjetunion vorgesehen. Der frühere Staatsminister im Auswärtigen Amt Klaus von Dohnanyi schildert in seinem Buch „Nationale Interessen“ eine Episode vom Ende der 1970er Jahre, als die USA bei einem Stabsmanöver die atomare Verwüstung der BRD probten, ohne ihn als Beobachter der Bundesregierung auch nur zu informieren. Er warnt vor diesem Hintergrund die heutigen Verantwortlichen, diese Haltung Washingtons zu ignorieren.
Von Dohnanyi hat etwas ausgesprochen, was die heutige NATO noch mehr prägt als vor 40 oder 50 Jahren: Die europäischen NATO-Partner sind auch durch ihre zahlenmäßige Vermehrung noch mehr zu Klientelstaaten der USA herabgesunken als damals im Systemkonflikt mit der Sowjetunion – vor allem die osteuropäischen verhalten sich wie US-Bundesstaaten an der Front. Die Lage der NATO-Mitglieder insgesamt ähnelt auch dadurch heute mehr denn je der, welche die Staaten Lateinamerikas mit Ausnahme Kubas gegenüber den USA von den 1960er bis in die 1980er Jahre einnahmen: Hinterhof. Es genügt das Stichwort „Sprengung der Nord-Stream-Gasleitungen“. Das bedeutet innenpolitisch: Veränderungen, die diese Klientelstellung berühren, werden mit allen Mitteln unterbunden – im Kalten Krieg unter anderem durch NATO-eigene „Stay Behind“-Terrortruppen. 1990 gab die Bundesregierung deren Existenz auch in der BRD zu – die NATO-Spuren etwa zum Oktoberfestattentat 1980 sind die einer Elefantenherde. Als der italienische Ministerpräsident Aldo Moro eine Koalition mit Kommunisten erwog, wurde er 1978 ermordet, analog zum faschistischen Putsch gegen Salvador Allende 1973 in Chile.
Ein Resümee
Knapp zusammengefasst: Die Gründung der NATO im April 1949 spaltete Europa und Deutschland. Die Gründung der BRD folgte im Mai 1949 nicht zufällig. Der westdeutsche Staat wurde geschaffen, um „eine Armee gegen die Sowjets“ aufzustellen – wie selbst „Spiegel“-Herausgeber Rudolf Augstein 1961 schrieb. Der erste Generalsekretär des Militärpakts, Lord Hastings Lionel Ismay, hatte die NATO-Aufgaben höflicher so skizziert: „Die Amerikaner drinnen, die Russen draußen halten – und die Deutschen am Boden.“ Das schloss und schließt namentlich ein, keine vertiefte russisch-deutsche Kooperation und keinen Frieden mit der Sowjetunion beziehungsweise Russland zuzulassen.
An dieser Aufgabenstellung hat sich nichts geändert – im Gegenteil: Mit der VR China ist eine neue Weltmacht auf der politischen Bühne erschienen. Für die USA wird es noch wichtiger, Konfrontation und Krieg auf dem europäischen Kontinent zu schüren, um die Hände in Ostasien frei zu haben.