Zu Klaus-Rüdiger Mais Biografie „Gutenberg. Der Mann, der die Welt veränderte“

Keine Erfindung des Teufels

Von Rüdiger Bernhardt

Klaus-Rüdiger Mai

Gutenberg. Der Mann, der die Welt veränderte

Berlin, Propyläen 2016

385 S., 28.- Euro

Die Welt sieht seit Johannes Gutenbergs Erfindung anders aus. Der Titel von Klaus-Rüdiger Mais Biografie „Gutenberg. Der Mann, der die Welt veränderte“ ist nicht zu bezweifeln. Dann aber drängen sich zwei Fragen auf: Wer war dieser Gutenberg, der eigentlich Johannes Gensfleisch hieß und Henne zur Laden genannt wurde? Wie kam es zu dieser Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, die solche Wirkungen hatte, und waren nur diese Lettern wichtig?

Für Klaus-Rüdiger Mai war es geradezu zwingend, nach seinen Büchern über Albrecht Dürer, Martin Luther und Johann Sebastian Bach sich Johannes Gutenberg (um 1400–1468) zuzuwenden, um jenes Instrument des Buchdrucks einzubringen, ohne das es den Bruch mit dem Spätmittelalter, die Reformation und die Neuzeit in der uns bekannten Form, demnach die Moderne, nicht gegeben hätte. Mit Gutenberg entstand eine neue Form der Kommunikation, des geistigen Austauschs, die es vielen Menschen ermöglichte – unabhängig von Stand und Besitz – an diesem geistigen Austausch teilzunehmen, sich zu informieren und selbst Beiträge einzubringen. Gutenberg hatte der Menschheit „eine neue Welt eröffnet, ein Universum des Wissens“ (299). Dass sich außerdem mit ihm ohne gesicherte Nation ein Nationalbewusstsein entwickelte, ist nicht zu leugnen, auch wenn das wenig Qualität zum Mythos hat, der daraus dennoch geworden ist. Doch wäre es nicht Gutenberg gewesen, würde man heute einen anderen Namen als Erfinder nennen; die Zeit war reif. Der Verfasser geht dem gründlich nach.

Dabei musste er eine Schwierigkeit meistern: Über Gutenberg, besonders seine biografischen Anfänge, ist kaum etwas Genaues vorhanden; Klaus-Rüdiger Mai konnte sich nur „auf wenige Daten stützen“ (48). Es ist auch kein authentisches Bild des Erfinders überliefert. Vermutungen sind alles. Mai machte aus der Not eine Tugend: Wenn schon wenig über den Menschen Gutenberg vorhanden ist, dann wird seine Zeit so genau wie möglich mit all ihren Widersprüchen, politischen und sozialen Gegensätzen beschrieben, um zu entwickeln, welche Verhältnisse die Voraussetzung für die Erfindung schaffen konnten. Besonders im ersten Drittel werden statt biografischer Details soziologische Entwicklungen beschrieben, aus denen eine mögliche Biografie Gutenbergs erschlossen werden kann. Für den Autor wurde es „das Abenteuer der biographischen Reise“ (9) mit Folgen. Um sein Ziel zu erreichen, wiederholte er grundlegende historische Bedingungen mehrfach bzw. beschrieb sie aus verschiedenen Perspektiven. Wiederholungen gehören zur Darstellungsmethode. Bei diesem Verfahren war es logisch, dass die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Gegensätze zwischen Hochadel und Patriziern, Patriziern als einer Art Stadtadel und den handwerklichen Zünften sorgfältig analysiert wurden und daraus die Ansprüche an eine neu entstehende gesellschaftliche Ordnung ebenso wie an eine neue Art der Kommunikation abgeleitet wurden, die sich in vielen Orten parallel entwickelte und in der Buchdruckerkunst ein wesentliches Instrument fand. Einer der entscheidenden Punkte war dabei der Bedeutungsverlust der Patrizier, die ihr Machtmonopol endgültig verloren, und der Machtzugewinn der Zünfte, die auch von Patriziern „Abgaben und Steuern“ (53) forderten; die Erfindung wurde von grundlegenden sozialen Veränderungen begleitet und weist den Erfinder als modernen Menschen aus, dem Technologien und Produktionsprozesse wesentlich für die gesellschaftliche Entwicklung sind.

Deutlich macht der Autor, wie Gutenbergs Wille, möglichst viele Texte für möglichst viele Menschen zu vervielfältigen, die Souveränität des Individuums ausbildete und stärkte, das als gebildetes und sich unabhängig informierendes Wesen den gesellschaftlichen Prozess beeinflussen konnte. Bis zum 14. Jahrhundert hatte es keine Bedeutung in der durch Hierarchien gegliederten Welt und das Wissen war nur wenigen zugänglich. Eine Folge des Buchdrucks war, dass Luther ein Jahrhundert später in der Lage war, die Reformation auszulösen, „deren Erfolg zu einem nicht unwesentlichen Teil auf den enormen Möglichkeiten der Publizität beruhte, die Gutenbergs Erfindung bot“ (80).

Doch leistete Gutenberg mehr als die Erfindung der beweglichen Lettern: Er machte daraus und aus anderen modernen Entwicklungen – das Papier nicht mehr als begrenztes Material, sondern als alltägliches Produkt, die Entwicklung neuer Märkte, die Kenntnis der sozialen und geistigen Prozesse u. a. – einen neuartigen Produktionsablauf, die massenhafte Buchproduktion.

Der Autor hat seinem Buch keine Gattungsbezeichnung mitgegeben. Für eine Biografie, wie er sie bisher geschrieben hat, steht zu wenig gesichertes Material zur Verfügung; erst 1420 wurde Gutenberg in einer Quelle genannt, 1444 gab eine urkundliche Erwähnung in Straßburg Auskunft über seinen Weinverbrauch. Gutenberg kehrte in diesem Jahr nach Mainz zurück. Straßburg war der Ort, an dem Gutenberg eine erste Erfindung umsetzte: den Pilgerspiegel, mit dem die von Reliquien ausgehenden Strahlen eingefangen und für den Träger des Spiegels als heilspendende Kraft umgesetzt werden konnten, seit das Berühren der Reliquien untersagt worden war.

Vermutungen und Konstruktionen zum Leben Gutenbergs wurden notwendig. Andererseits setzt der Verfasser umfangreich historisches Material ein, der Leser bekommt es mit einem imposanten Geschichtsabriss zur Entwicklung der frühbürgerlichen Produktionsweise zu tun. Das ist beeindruckend: Mai führt die Entstehung des Buchdrucks nicht nur auf den Erfindergeist Gutenbergs zurück, sondern auf die Einsicht in notwendig werdende Veränderungen in der Kommunikationsindustrie, um möglichst große Teile des Volkes daran zu beteiligen, denn „unter Gutenbergs Drucken finden sich nur Werke, die einen großen und vor allem nachwachsenden Absatzmarkt“ (50) versprachen. Da von besonderer Bedeutung dabei die Universitäten waren, kam durch den Buchdruck Wissen in kompakter Form unter Teile des Volkes. Das führte zum Siegeszug des deutschen Humanismus, zur Renaissancephilosophie und „schließlich der Reformation“ (69). Parallel entstand eine differenzierte Welt der Geldwirtschaft mit „Kredit- und Rentenhandel“ (101), die den Menschen, der damit umging, Entfremdung empfinden ließ, trennte doch das Geld den Menschen von der Produktion. Es entstanden alle Voraussetzungen und bereits entscheidende Merkmale der modernen kapitalistischen Welt.

Mais Buch verdeutlicht eindrucksvoll, dass nicht die Genialität eines Einzelnen ausschlaggebend ist, sondern soziale und gesellschaftliche Bedingungen, technische Entwicklungen und arbeitsteilige Vorgänge die Voraussetzung für Erfindungen und deren Wirkung schufen. Darauf gründend war Gutenberg ein Mann mit „Unternehmergeist und Tatendrang, Wagemut und ein(em) unerschütterlichen Selbstvertrauen“ (114). In dieser Verbindung entstand der Buchdruck. Gewinner waren die Betroffenen, die bisher nur hören konnten, was aus edlen Folianten ihnen vorgetragen wurde; sie hatten es glauben müssen. Nun wurden aus ihnen Teilnehmer am geistigen Austausch, denn mit der Massenproduktion von Büchern erweiterte sich der Kreis der Leser und der Meinungen. Die Selbstbewusstheit des Individuums nahm zu.

Es ist ein sehr schön gestaltetes Buch, dessen Druck an die Erfindung erinnert, indem Blocksatz verwendet wird, der durch farbige Zeichen gegliedert ist. Ein historisches Lesezeichen liegt bei, das Buch enthält mehrere Faksimiles und zahlreiche buchkünstlerische Gestaltungselemente, unter anderem aus dem Gutenberg-Museum Mainz.

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"Keine Erfindung des Teufels", UZ vom 24. März 2017



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