Rolf Becker ist Schauspieler, Gewerkschafter und engagiert sich gegen Ausbeutung, Krieg und Unterdrückung. Neben seinen Engagements, unter anderem am Theater der Freien Hansestadt Bremen und am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, wurde er seit den 1960er Jahren vor allem durch Theater- und Literaturverfilmungen des deutschen Fernsehens bekannt.
UZ: Beim UZ-Pressefest lesen Sie aus dem Kommunistischen Manifest. Welche Beziehung haben Sie selbst zum Manifest? Was bedeutet es Ihnen?
Rolf Becker: Das „Manifest der Kommunistischen Partei“, 1848, vor 170 Jahren, geschrieben, beinhaltet wie andere Schriften von Marx und Engels keine Dogmen, sondern ist eine beispielhafte Methode, gegebene Verhältnisse zu untersuchen, um auf Grundlage der jeweiligen Ergebnisse dieser Untersuchung handlungsfähig zu werden.
Die Frage beispielsweise, ob der Untergang der bürgerlichen Klasse und der Sieg des Proletariats „gleich unvermeidlich“ sind oder ob die heutigen Klassengegensätze mit dem „gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen“ enden, ist nach wie vor unbeantwortet.
Wir sind gefordert, das Angedachte unter den heute gegebenen Verhältnissen weiterzudenken und entsprechend zu handeln.
Eric Hobsbawm schrieb 1998 zum 150. Geburtstag des Manifestes: die von Marx und Engels wissenschaftlich analysierte Entwicklung des Kapitalismus habe sich bis heute derart bestätigt, dass man sie fast für Propheten halten könne. Aber die Arbeiterklasse, fragt er dann. Deren Rolle basiere für Marx und Engels ja auf keiner wissenschaftlichen Untersuchung, sondern auf ihrer Geschichtsphilosophie.
Zwischenruf dazu auf einer Manifest-Lesung: „Und was meinst du?“ Hier der Versuch meiner Antwort: Die bisherige Geschichte der Arbeiterbewegung ist überwiegend gekennzeichnet durch schwere Niederlagen, auch wenn wir berücksichtigen, in welchem Maß die Pariser Kommune, die russische, die chinesische, die vietnamesische, koreanische, kubanische Revolution und die vielfachen revolutionären Anläufe weiterer Länder zum Prozess der Veränderung unserer heutigen Welt beigetragen haben – Anlass für uns, das Begonnene weiterzudenken und entsprechend zu handeln.
Wenn ich als Perspektive aufgebe, dass die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse hierzulande und weltweit veränderbar sind, dann gebe ich mich auf, dann gebe ich meine Kinder auf, gebe ich jegliche Perspektive auf für eine Weiterentwicklung der Menschheit, für das Erhalten der Schönheiten, die uns auf diesem Planeten noch verbleiben.
Fazit: den Satz von Engels als Aufgabe wahrnehmen: „Die Arbeiterklasse ist revolutionär oder sie ist nichts.“
UZ: In den vergangenen Tagen haben Neofaschisten in Chemnitz mehrfach Jagd auf vermeintliche Nichtdeutsche und Linke gemacht. Hätten Sie es für möglich gehalten, dass es wie damals, zu Beginn der 1990er Jahre, nochmals unter den Augen der Polizei zu derlei pogromartigen Hetzjagden kommen würde?
Rolf Becker: Ja, und ich habe dergleichen seit langem erwartet. Wenn die bürgerlichen Verhältnisse durch die unvermeidlich fortschreitende ökonomische Krise infrage gestellt werden, bleibt der herrschenden Klasse nur als Ausweg, ihre politische Macht an faschistische Gruppierungen oder Parteien zu delegieren, um ihre wirtschaftliche Macht zu erhalten.
UZ: Welche Rolle spielt die AfD in diesem Zusammenhang?
Rolf Becker: Die AfD und andere faschistisch orientierte Organisationen werden einerseits noch in ihrer Entfaltungsmöglichkeit eingeschränkt, andererseits wird ein konsequentes Vorgehen gegen sie vermieden, auch ihr Verbot umgangen, weil noch nicht absehbar ist, wann sie zur Herrschaftssicherung gebraucht werden.
UZ: Sie engagieren sich nunmehr seit Jahrzehnten gegen Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung. Vor welchen Herausforderungen sehen Sie die politische Linke aktuell?
Rolf Becker: Die politische Linke ist zurzeit weitgehend handlungsunfähig, weil entscheidende Fragen ungeklärt sind und kaum offen diskutiert werden: Regierungsbeteiligung, Israel-Palästina, Flüchtlingsfrage, Einschätzung der welt- und geopolitischen Entwicklungen und damit von Krieg und Frieden. Auch die „Sammlungsbewegung“ Sahra Wagenknechts kann ohne Antwort auf diese Fragen kaum weiterführen.
Konkretes Anknüpfen an die Probleme, unter denen die Menschen nicht nur hierzulande zunehmend leiden und die uns Nachkommenden der Lebensperspektive beraubten, an den realen Konflikten in Betrieben, den Mängeln im Gesundheitswesen, bei Bildung und Ausbildung, Wohnraum und Obdachlosigkeit, und, und, und wäre zumindest ein Ansatz. Solidarität der Unterdrückten mit den Unterdrückten – nicht die Lösung, aber zumindest ein Anfang: unerlässlich, um diese Welt vor allem für die uns Nachkommenden wieder lebenswert zu machen und um zu erhalten, was von ihrer Schönheit geblieben ist.
Samstag, 8. 9., 13 Uhr
jW-Zelt „Der allgegenwärtige Antisemit“, Vorstellung des neuen Buches von Moshe Zuckermann, mit Esther Bejarano und Rolf Becker
Sonntag, 9. 9., 12 Uhr
jW-Zelt Nicolás Miquea und Rolf Becker „En memoria: Salvador Allende“
Sonntag, 9. 9., 15 Uhr
Karl-Marx-Bühne in der Kunst-und Kultur-Halle Rolf Becker liest das Manifest der Kommunistischen Partei