Die Diskriminierung von Bundesbürgern durch den Staat ist verboten. 71 Jahre nach Kriegsende stellte Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, fest, dass unter anderem zu Gefängnisstrafen nach § 175 verurteilte Homosexuelle rehabilitiert und entschädigt werden müssten.
Die Bundesrepublik hatte den Paragrafen 175 von den Nazis übernommen. In einer ähnlichen „Rechts“-Kontinuität bewegte sich der am 28. Januar 1972 von Willy Brandt und den Ministerpräsidenten aufgelegte „Radikalenerlass“, der Kommunisten – wie schon bei den Nazis – aus dem öffentlichen Dienst auf allen Ebenen (Bund/Reich, Bundesländer/Provinzen und Kommunen) rigoros entfernte.
Den unmittelbaren Anschluss an die Nazi-Praxis hatte zuvor, am 19. September 1950, Kanzler Konrad Adenauer (CDU) mit seinem „Adenauer-Erlass“ geliefert: Kommunisten flogen auch unter seinem Regime aus dem Dienst – während Altnazis in Ministerien und anderen Amtsstuben fröhliche Urständ feiern konnten.
Willy Brandt gestand den „Radikalenerlass“ später als Fehler ein. Aber der „Fehler“ wurde nicht korrigiert. Im Jahr 2005 wurde das letzte Berufsverbot in Baden-Württemberg gegen einen aktiven Antifaschisten verhängt. In Bayern hält die „Schnüffelpraxis“ mittels Fragebögen bei der Einstellung an.
Dem durch das Berufsverbot diskriminierten Lehrer Michael Csaszkóczy warf der Richter Bernd Heß vor, dass zu befürchten sei, „dass Sie ein Bild unseres Staates propagieren und an Schüler weitergeben, das von Seiten des Landes als diskriminierend angesehen wird“. Michael Csaszkóczy konnte sich letztlich durchsetzen. Er ist wieder Lehrer.
Jetzt wird das Berufsverbot nur noch in Bayern praktiziert. Der „Radikalenerlass“ wurde auch in anderen Bundesländern nicht offiziell abgeschafft. Die Betroffenen wurden nicht rehabilitiert. Sie wurden auch nicht entschädigt. Insgesamt gab es etwa 3,5 Millionen politische Überprüfungen durch den Verfassungsschutz, zwischen 25 000 und 35 000 „verdächtige“ Bewerber. 11 000 Verfahren wurden eingeleitet. 2 250 Bewerber wurden nicht eingestellt, 256 Beamte wurden entlassen. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen.
Die „Initiativgruppe 40 Jahre Radikalenerlass“ hat nun das Engagement von Christine Lüders für die verfolgten Homosexuellen zum Anlass genommen, um Justizminister Heiko Maas (wie Willy Brandt: SPD) daran zu erinnern, dass die Berufsverbote im Bund bei Post, Bahn oder Zoll nicht aufgehoben wurden. Dies gilt auch für die Ebene der Bundesländer etwa in Schulen und Universitäten. Und es trifft schließlich auch für Kommunen zu, die Kommunisten aus dem Dienst entfernten oder die Bewerber erst gar nicht zuließen.
Die Initiative erinnert den Minister (Jg. 1966) daran, dass die Berufsverbote-Opfer inzwischen in einem Zeitfenster angekommen sind, „das zum Handeln verpflichtet, wenn die Betroffenen noch erreicht werden sollen. Viele haben das Rentenalter erreicht. Die ersten Kolleginnen und Kollegen sind schon gestorben.“
Der Bundesjustizminister wird abschließend gebeten, „sich dieser Angelegenheit anzunehmen“. Bei seinem Polit-Kollegen Winfried Kretschmann (B’90/Grüne), stieß eine ähnliche Forderung auf taube Ohren. Der Stuttgarter Ministerpräsident mit grün-schwarzem Kabinett mag nur ungern daran erinnert werden, dass er als scheinbarer Jungkommunist „unter Beobachtung“ stand. Die Aktenlage soll aber nicht mehr vollständig sein.