Trotz einem für BRD-Verhältnisse streikintensiven Jahr belegt Deutschland beim Volumen der Arbeitskämpfe im internationalen Vergleich nur einen Platz im unteren Mittelfeld. Dies hält die Kapitalseite nicht davon ab, das Märchen von „einem Land im Dauerstreikmodus“ aufzuwärmen und weitere Einschränkungen des Streikrechts zu fordern.
Verpflichtende Schlichtungen, klare Streikfristen und die Möglichkeit, Verhandlungsführer auszutauschen, sind nur einige Beispiele. So sollen aus selbstbewussten Belegschaften Bittsteller werden.
Ein Tag im März, als Eisenbahner und Busfahrer gleichzeitig die Arbeit niederlegten, genügte Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, als Vorwand für die abenteuerliche These, die Streiks in der kritischen Infrastruktur seien nicht nur ärgerlich, sondern auch Wachstumsbremsen. „Die volkswirtschaftlichen Schäden treffen ja nicht nur die unmittelbar betroffenen Unternehmen, sondern die gesamte Wirtschaft“, so der Verbandsfunktionär. Die Unterstützung durch die FDP ließ erwartungsgemäß nicht lange auf sich warten. Gerade bei der kritischen Infrastruktur sei es zentral, „dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt und eine maßlose Streikgier, wie wir sie erlebt haben, in Zukunft unterbunden wird“, forderte deren Generalsekretär Bijan Djir-Sarai.
Die Forderung, das Streikrecht in der „kritischen Infrastruktur“ einzuschränken, richtet sich nicht nur gegen Lokomotivführer oder Busfahrer. Leicht könnte dies 40 bis 50 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland betreffen – je nach konkreter Definition und genauer Abgrenzung. Schon die quantitative Dimension macht deutlich, dass es hier um einen massiven Eingriff ins Streikrecht geht.
Dabei ist schon jetzt Streik in Deutschland kein Grundrecht. Politische Streiks, wie in vielen europäischen Ländern möglich, sind hierzulande weitestgehend verboten. Lediglich Artikel 9, Absatz 3 des Grundgesetzes – „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden“ – schützt Arbeitskämpfe. Allerdings nur die, die zum Zweck des Abschlusses von Tarifverträgen geführt werden. Werden die demokratischen Rechte hier noch weiter eingeschränkt, wird aus Arbeitskämpfen endgültig kollektive Bettelei.