Francis Nenik
Reise durch ein
tragikomisches Jahrhundert
Das irrwitzige Leben des
Hasso Grabner
Verlag Voland & Quist GmbH
192 S. 19,- Euro
Bei den politischen Ereignissen des 20. Jahrhunderts hat Hasso Grabner (1911–1976) eine vielfältige, fast verwirrende Rolle gespielt; sie war immer politisch und sie war immer an kommunistischen Zielen orientiert. Dass Grabner diese Ziele oft individuell, teils anarchistisch interpretierte, ließ seine Biografie so kompliziert werden, dass es keine Gesamtdarstellung gibt. Frühzeitig KPD-Mitglied, leitete er Betriebszellen, ging 1933 in den Untergrund, saß von 1934 bis 1938 im Zuchthaus Waldheim, kam dann nach Buchenwald. Ab 1942 Strafdivision 999 der Wehrmacht und Einsatz in Griechenland. Nach 1945 Mitglied von FDJ und SED und von da an in der DDR eine wechselvolle Folge von Funktionen, vom Rundfunkintendanten zum Oberregierungsrat, aber auch zum Hilfsarbeiter, immer wieder Abbrüche, schließlich Schriftsteller.
Der Mann war ein Phänomen der Vielseitigkeit, aber er war schwierig: Selbstüberschätzung führte ihn fortwährend in Konflikte, sein anarchisches Verhalten geriet in Schwierigkeiten mit gesellschaftlichen Vorstellungen. Seine Biografie ist ein facettenreiches Dokument widersprüchlicher politischer Entwicklung.
Francis Nenik hat sich an dieser Biografie versucht, die ihm so misslungen ist wie ein Vorhaben nur misslingen kann. Francis Nenik ist ein Pseudonym, hinter dem sich der Autor, warum auch immer, verbirgt. Zurück bleibt der Eindruck, Grabners kommunistische Absichten lächerlich zu machen und als unsinnig vorzuführen. Geschichtskenntnisse sind nicht vorhanden oder wurden als störend verdrängt oder auf Nachhilfeniveau reduziert. „Revolution“ wird mit Hohn und Spott übergossen und auf „Malnachmittage und Bastelarbeiten“ reduziert; nach 1945 setzt sie der Autor je nach Bemessen freizügig an, so für Juni 1948 „die nächste Stufe der Revolution“.
Erscheint die Biografie bis 1945 noch phasenweise sachlich, so geht nach 1945 jede Ernsthaftigkeit verloren. Politisch ist die Biografie einfältig bis unerträglich. Dass die Demonstrationen vom 13. Juni 1953 von Berliner Bauarbeitern ausgingen, ist bekannt, der Anlass: Normerhöhungen. Hier aber: „volkseigener Aufstand, Befriedung nach Moskauer Art“. Einmal stellt der Autor fest: „Die einen machen Geschichte und die anderen schreiben sie um.“ Ein anderes Mal sind ihm Erinnerungen „Grundstoff der Geschichte“, keine Fakten. Oder noch anders: die „Groteske namens Geschichte“. Da der Autor von Geschichte nichts versteht, erklärt er alles, was er nicht versteht – und das ist viel – für „ins Schizophrene abdriftende Groteske“. Neben einigem Unsinn entstehen Zerrbilder, die den Atem verschlagen: Die „kommunistischen Heroen“ im KZ Buchenwald gründeten, nachdem sie „aus eigner Kraft die Nazis vertrieben“, einen „sozialistischen Superstaat“, in dem die Heroen „danach durch Inanspruchnahme ihrer heldenhaft zu Hause ausharrenden Frauen Millionen kleiner antifaschistischer Widerstandskämpfer zeugten und … aus ihnen eine volkseigene Armee formten“. Ähnlich ergeht es dem Bitterfelder Weg. Gelesen hat er die ihm empfohlene Literatur nicht. Er kennt nicht einmal einfachste Fakten wie den Unterschied zwischen Brigadetagebuch und Zirkel schreibender Arbeiter, sondern schwadroniert drauf los. Das geht bis zur Behauptung, das Motto „Greif zur Feder, Kumpel“ sei „von den Russen geklaut“. Ich habe viel Unsinn über den Bitterfelder Weg gelesen, aber Nenik übertrifft das.
In einem solchen Geschichtswust hat Hasso Grabner kaum Platz. Er erscheint deshalb wie Gulliver, allerdings ein kommunistischer Gulliver, also von einem „Bildungsfimmel“ – ein Lieblingsbegriff des Autors, um zu beleidigen – getrieben. Sachlichkeit? Fehlanzeige. Schon der Titel „Reise durch ein tragikomisches Jahrhundert. Das irrwitzige Leben des Hasso Grabner“ und die Titelillustration deuten auf eine Narrengeschichte hin. Das schafft die Grundlage: der Kommunist als Narr, sein Leben für seine Idee als irrwitzig und die Zeit zweier Weltkriege und der größten Massenverbrechen der Menschheitsgeschichte als tragikomisches Jahrhundert. Der ästhetische Begriff vermag nicht annähernd den Charakter des Jahrhunderts zu erfassen. Bis hin zu Bösartigkeit und zynischen Unterstellungen wird das getrieben: Hat die Parteileitung keine Antworten zur Verfügung, hat sie „junge frische Mitarbeiter parat … die“ – es ist schließlich ein Kohlekraftwerk – im Notfall „auch verheizt werden können“. Das ist peinlich und eine sprachliche Entgleisung dazu. Die Entgleisungen sind Methode: Als für einen Gedichtband Grabners festgestellt wird, dass nur neun Exemplare verkauft worden seien, stellt der Autor fest, damit sei für Hasso Grabner „kein Staat zu machen, noch nicht mal in der DDR“, einem Land, in dem Startauflagen von 20 000 an der Tagesordnung waren und sofort verkauft wurden. Dass gerade diese Grabner-Lyrik Anlass für Kabaretttexte war, wird nicht erwähnt. Auch nicht erklärt wird, wie dieser gedemütigte, bestrafte, verfemte Grabner einen literarischen Erfolg nach dem anderen hatte, Startauflagen mit 125 000 Exemplaren verzeichnete und eine Auszeichnung nach der anderen bekam; sie werden beiläufig genannt. Überhaupt: Der Schriftsteller Grabner spielt keine Rolle, der literarische Prozess auch nicht. Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, sich in der Literaturgeschichte der DDR „Deutsche Literatur“, Band 10 zu informieren oder in Literaturzeitschriften wie der „Neuen Deutschen Literatur“ nachzulesen. Grabner wird dort oft gewürdigt.
Die Sprache steht dem Inhalt nicht nach. Neniks Stil ist der einer oberflächlichen Selbstgefälligkeit, die ihr eigenes Vokabular hat: „schlicht und ergreifend“ gehört ebenso dazu wie „na klar“ für jede sich ankündigende Disziplinarmaßnahme. Obwohl sprachliche Disziplin fehlt, Sprache ist und bleibt auch dabei verräterisch. Unerträglich wird schließlich der salopp verschwurbelte, selbstgefällig arrogante Ton, der dem Respekt vor einer Biografie, zudem einer mit den Schwierigkeiten, die Grabner zu bewältigen und durchzustehen hatte, widerspricht. Die erfundenen Dialoge könnten heutigen Chats entnommen sein, ärgerlich, verkürzt und hilflos sind sie, sachkundig sind sie nicht. Zitate werden ausschließlich aus Stasi- und Parteiakten entnommen, wie weit diese erfunden oder manipuliert wurden, wird nicht deutlich; dass ein Mensch auch ein alltägliches Leben führt, wird nicht erkennbar. Dass möglicherweise Grabners Probleme zu einem Teil daraus entstanden, wird nicht erörtert, wie überhaupt nie nach Gründen für Grabners Verhalten gefragt wird, aber auch seiner ästhetischen Konzeption nicht ein Wort geschenkt wird. Es wird kein Dokument ausgewertet und keines der Werke Grabners angedeutet oder gar analysiert. Ja, der Autor ist stolz darauf, wie er im Nachwort mitteilt, in den vergangenen 20 Jahren von Gedichtbänden „null Stück“ gelesen zu haben. Dokumente werden erfunden, so wird aus Friedrich Schlegels unbekanntem und wohl auch nicht existenten „Lessing aus Leuna“ zitiert. Anlass für das Buch war, einen vergessenen Dichter zu finden. Aber schaut man nach, vergessen war und ist Grabner nicht: Nur hat der Autor keine der Quellen zur Kenntnis genommen, keine Rezension seiner Werke, keine literarische Zeitschrift. Nun ja, er ist kein Literaturhistoriker, wie er schreibt … Aber wer oder was ist er denn wirklich? Die fehlende Biografie Hasso Grabners hat er nicht geschrieben, er hat sich ihr allenfalls hindernd in den Weg gestellt.