„Business Insider“ berichtet über teure Doppelstrukturen und „Vetternwirtschaft“ bei ver.di

Keine Aufklärung?

Haben führende Funktionärinnen und Funktionäre der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ihren Lebensgefährten lukrative Aufträge zugeschanzt? Diesen Vorwurf erhob in der vergangenen Woche das zum Springer-Verlag gehörende Onlineportal „Business Insider“: „Gleich mehrere Ehepartner von Verdi-Spitzenpersonal werden mit lukrativen Film- oder Berateraufträgen versorgt.“ Die Rede ist von „Vetternwirtschaft“.

Konkret geht es um die Firma „Bildversorger“ in Nordrhein-Westfalen, die in der Vergangenheit zahlreiche Kurzfilme über Streiks und Kundgebungen der Gewerkschaft produziert hat. Das Unternehmen gehört dem Bericht zufolge dem Ehemann von Silke Zimmer, die den Fachbereich Handel in NRW leitet und beim Bundeskongress im Herbst nächsten Jahres in den ver.di-Bundesvorstand gewählt werden möchte. Im Raum stehen Zahlungen von mehreren tausend Euro pro Videoclip, deren Dauer oft weniger als eine Minute beträgt.

Als weiteres Beispiel nennt das Portal, das zuletzt durch die Enthüllungen um RBB-Intendantin Patricia Schlesinger auf sich aufmerksam gemacht hatte, eine Firma in Bayern. Die „Gesellschaft für Gute Arbeit mbH“, die keine eigene Homepage betreibt, hat sich auf das Durchführen von Befragungen spezialisiert, durch die Arbeitsbedingungen in Unternehmen untersucht werden. Zu den Auftraggebern gehört oft ver.di. So hat die Firma „in Kooperation mit ver.di Handel“ eine „Toolbox für den Handel“ erstellt. Wie es auf der dazugehörigen Internetseite heißt, richtet diese sich an „Arbeitgeber, Betriebsräte, Gewerkschaftssekretärinnen und Sachverständige im Handel“ und soll Handwerkszeug bieten, um zum Beispiel „betriebliche Altersstruktur- oder Demografie-Analysen durchzuführen“. Die Leiterin des Unternehmens ist dem Bericht zufolge die Ehefrau von Hubert Thiermeyer, dem Chef des ver.di-Fachbereichs Handel in Bayern.

Die Auftragsvergabe an die beiden Unternehmen wurden dem Portal von einem ver.di-Sprecher bestätigt, der darin aber kein Problem sehen wollte. Der Verfasser des Artikels, Philip Kaleta, fragt dagegen, warum ver.di eigentlich für solche Aufträge nicht auf die hauseigene Abteilung „Innovation und Gute Arbeit“ zurückgreift. „Sie führt große Umfragen durch, macht quantitative und qualitative Befragungen.“ Und auch für die Videoproduktionen habe die Gewerkschaft mit „ver.di TV“ eine eigene Abteilung. „Weshalb also wieder die teuren, familiär bedingten Doppelstrukturen?“

Unter Berufung auf „ver.di-Insider“ schreibt das Internetportal außerdem, dass „hochrangige Verdi-Funktionäre aus der Zentrale in Berlin, aber auch Mitglieder des Gewerkschaftsvorstandes“ Beraterverträge mit der Gewerkschaft hätten, „also gleichzeitig für Verdi arbeiteten und sie berieten – und damit doppelt verdienten“. Auf Anfrage des Journalisten erklärte ein ver.di-Sprecher, „dass dies gegen die Statuen der Gewerkschaft verstoßen würde und nach ‚unserer Kenntnis‘ nicht stattfinde“.

Einen Tag später griff das Branchenblatt „Lebensmittel-Zeitung“ den Bericht auf. In einem kurzen Bericht zitierte die Redaktion den bei ver.di bisher für den Einzelhandel zuständigen Bundesfachgruppenleiter Orhan Akman mit den Worten, er fordere eine „lückenlose Aufklärung“ der Vorgänge. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, „dass die Gewerkschaft zum ‚Selbstbedienungsladen‘ für Funktionäre verkomme“, so Akman, der im kommenden Jahr ebenfalls für den ver.di-Bundesvorstand kandidieren will. Er forderte, alle in die Vorgänge verwickelten Funktionäre, unter ihnen Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger, von der Arbeit freizustellen.

Das scheint man in der ver.di-Zentrale nicht vorzuhaben. Stattdessen kam der Vorstand am 19. August zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen und beschloss, Akman von seiner Funktion als Bundesfachgruppenleiter zu entheben und ihn von der Arbeit freizustellen. Begründet wurde das ausdrücklich mit dem Artikel im „Business Insider“. Was Akman mit den Recherchen des Portals zu tun haben soll, wurde nicht mitgeteilt.

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"Keine Aufklärung?", UZ vom 26. August 2022



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