„Marsch auf Heilbronn – Geschichte gemeinsam erleben“ – unter diesem Motto hatten IG Metall und Audi-Betriebsrat am 17. April in das Audi Forum in Neckarsulm zu einer Sonderausstellung mit Programm eingeladen. Sie erinnerten damit an den Kampf der Audi-Belegschaft Neckarsulm gegen die Schließung des Werkes 1975. Viele Hunderte kamen, diskutierten mit Zeitzeugen, schauten sich Filme, Erinnerungsstücke und Ausstellungstafeln über den Kampf der Audi-Belegschaft vor 50 Jahren an. Sie erlebten ein buntes Programm und eine Geschichte voller Mut und Solidarität.
Vor rund 50 Jahren hatte der VW-Vorstand beschlossen, das Werk von Audi in Neckarsulm zu schließen – eine Fabrik mit rund 10.000 Beschäftigten. Der Konzernvorstand wollte damals in allen Werken insgesamt 30.000 Arbeitsplätze vernichten – eine ähnliche Situation wie heute. Doch die Belegschaft von Audi Neckarsulm (NSU) wehrte sich entschieden gegen die Schließung. Es war eine monatelange Auseinandersetzung um den größten Betrieb in der Region. Der Marsch von 7.000 Kollegen auf Heilbronn vom 18. April 1975, eine halbspontane Aktion, gehört zu den Höhepunkten des Kampfes, der sich tief in das kollektive Gedächtnis der Region eingebrannt hat. An diesem Tag fand die entscheidende VW-Aufsichtsratssitzung in Wolfsburg statt, die über die Werksschließung entscheiden sollte. Deshalb sollte nochmal ordentlich Druck gemacht werden. Insgesamt gab es eine sehr breite Unterstützung durch die Bevölkerung und die gesamte Öffentlichkeit, selbst der Medien. Die „Heilbronner Stimme“ berichtete regelmäßig und solidarisch über die Auseinandersetzung.
Der Kampf war zum Teil erfolgreich, das Werk wurde erhalten und es gibt es auch heute noch mit etwa 15.000 Beschäftigen. Allerdings wurden damals rund 4.700 Kolleginnen und Kollegen entlassen und die zwei kleinen Werke in den Nachbarorten Heilbronn und Neuenstein wurden geschlossen. Vor allem ausländische Kollegen, damals rund 42 Prozent der Belegschaft, verloren ihren Arbeitsplatz und wurden mit „Rückkehrprämien“ wieder in ihre Heimatländer geschickt.
Prägend in dieser Auseinandersetzung war Klaus Zwickel, der 1. Bevollmächtigte der IG Metall Heilbronn/Neckarsulm und damals Streikführer, später dann Vorsitzender der IG Metall. Gemeinsam mit den Vertrauensleuten, die in ihre neue Rolle erst hineinwachsen mussten, baute er den Widerstand auf. Der Betriebsratsvorsitzende vertraute mehr auf Gespräche mit der Geschäftsleitung als auf die Stärke der Belegschaft. Die Kolleginnen und Kollegen waren weitgehend auf sich selbst gestellt. Weder aus anderen Werken von VW oder Audi noch von der Zentrale und aus dem Schwesterwerk Audi Ingolstadt gab es größere Unterstützung. Ebenso wenig vom Vorstand der IG Metall und dem Gesamtbetriebsrat. Es gab weder konzernweite Protestaktionen noch eine übergreifende Abwehrstrategie. Nur die Stuttgarter IG Metall, der Bezirksleiter von Baden-Württemberg, Franz Steinkühler, und Belegschaften von Betrieben aus dem Umland leisteten aktive Unterstützung. Der Heilbronner Audi-Betriebsrat, eher kämpferisch und politisch links stehend, hatte eine treibende Rolle – er ging oft mit Aktionen voran und die Neckarsulmer folgten. Auch die ausländischen Kollegen standen in der ersten Reihe und rissen dann viele mit.
Die Ausstellung war leider nur einen Tag zu sehen. Ergänzend haben IG Metall und „Heilbronner Stimme“ aber einen Katalog mit 16 Seiten herausgegeben, der bleibt. Darin berichtet der damalige Auszubildende Rainer Jesser über seine Eindrücke vom 18. April 1975: „Ich erinnere mich noch gut, wie wir am damaligen Tor 1 gestartet sind. Es gab kein Zögern und kein Halten. Jeder hat erkannt: Wir müssen jetzt ran – oder es ist vorbei mit unserem Werk. Wir waren voller Energie, voller Bereitschaft, etwas zu tun, damit das Werk nicht den Bach heruntergeht. Sogar die Berufsschüler haben wir mobilisiert. (…) Es lag schon Kampfbereitschaft in der Luft. Und: Es war einfach ein gutes Gefühl, wie viele Menschen sich angeschlossen haben. Selbst jene, die nichts mit Audi zu tun hatten.“ Klaus Zwickel beschreibt in der Zeitung die schwierige Situation zu Beginn der Auseinandersetzung: „Schritt für Schritt kippte die Stimmung: Die Erkenntnis wuchs, dass diese Auseinandersetzung über die Existenz von Audi NSU entscheiden würde. Genauso klar wurde, dass, wenn wir uns nicht selbst helfen, es niemand tun würde. (…) Der Widerstand wuchs, die Beteiligung war riesig – und schließlich hatten wir Erfolg!“
Den Ausstellungskatalog gibt es hier.