Ob Bethlehem oder Hebron, Dschenin oder Ramallah, ob Nablus oder Tubas: Immer wieder kommt es auf der Westbank zu Razzien durch das israelische Militär – auch während der wenigen Tage des Waffenstillstands in Gaza. Das Militär blockiert Straßen, grenzt Sperrgebiete ab und besetzt mit Dutzenden gepanzerten Fahrzeugen ganze Stadtteile. Drohnen dienen der Überwachung oder gegebenenfalls auch dem Angriff mit Bomben und Raketen.
Unter dem Eindruck des Massakers an den Einwohnern von Gaza verschwindet das militärische Geschehen auf der Westbank aus dem Blickfeld. Hier wurden im Jahr 2023 bis Anfang Dezember mehr als 470 Palästinenser von israelischem Militär getötet, davon mehr als 260 seit dem 7. Oktober. Zu ihnen gehörten ein fünfzehnjähriger und ein achtjähriger Junge, die in Dschenin erschossen wurden. Mehr als 3.700 Menschen auf der Westbank, in Jerusalem, aber auch auf israelischem Staatsgebiet wurden verhaftet, darunter viele Jugendliche und Kinder. Nur ein Teil der Verhafteten wurde inzwischen wieder freigelassen.
Besonders provokativ sind die Fälle, in denen Palästinenser, die aufgrund des Austausches während der Waffenruhe aus israelischer Haft entlassen worden waren, nur wenige Tage danach im Rahmen einer Razzia wieder festgenommen und erst später freigelassen wurden.
In den Razzien, die oft von Bulldozern begleitet werden, kommt es immer wieder zu schweren Verwüstungen von Straßen und Häusern. Und die staatliche Gewalt der Armee begleitet oft Angriffe und Plünderungen durch Siedler.
Die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem dokumentiert solche Fälle. Ein klassisches Beispiel: Ende Oktober fuhren Siedler mit einem Traktor durch das Land eines Palästinensers bei Hebron und zerstörten Olivenbäume und Weinreben. Israelische und ausländische Aktivisten wollten die Zerstörung dokumentieren und wurden daraufhin von der Armee beschossen.
Es geht hier um die Zone „C“ im Westjordanland, die vollständig unter israelischer Kontrolle steht und 60 Prozent der Fläche des Westjordanlands umfasst. Hier leben ungefähr 200.000 Palästinenser in vielen kleinen Dörfern. Mit Schikanen, gesetzlichen Regelungen und Überfällen durch Siedler sollen die palästinensischen Gemeinden vertrieben werden – und oft gelingt es.
Palästinensische Gemeinden verlassen ihr Land – aus Furcht oder weil ihre Lebensgrundlage zerstört wird. Das Land wird daraufhin vom Staat – oder direkt von den Siedlern selbst – übernommen. Israel verfolgt diese Politik seit Jahrzehnten, schreibt B’tselem. Mit Benjamin Netanjahus extrem rechter Regierung verstärkte sich diese Politik. Der Krieg brachte einen neuen Höhepunkt.
Anfang der Woche traf eine der unzähligen militärischen Razzien Bethlehem, mitten in der Weihnachtssaison. Die Feiern der drei großen christlichen Gemeinschaften (Katholiken, Orthodoxe und Armenisch-Orthodoxe) mit Weihnachtsschmuck, Feuerwerk und Festbeleuchtung sind schon in ruhigeren Zeiten angesichts der Realität der Stadt unangemessen. Die Stadt liegt eingepfercht zwischen zwei Umgehungsstraßen für israelische Siedler, wird auf einer Seite abgesperrt von einer acht Meter hohen Mauer und ist umringt von 37 Siedlungen, in denen ein Viertel aller israelischen Siedler auf der Westbank lebt.
Für dieses Jahr hat die Stadtverwaltung entschieden, die Weihnachtsdeko abzubauen. Ein Sprecher der Stadt erklärte: „Es ist überhaupt nicht angemessen, solche Festlichkeiten zu veranstalten, während im Gazastreifen ein Massaker stattfindet und im Westjordanland Angriffe verübt werden.“